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Archiv-Artikel

„Andere Ebene als die Opfer“

STOLPERSTEINE Ob auch an Wehrmachtsgeneräle erinnert werden sollte, wird heute Abend diskutiert

Marcus Meyer

■ 39, ist wissenschaftlicher Leiter des Denkorts Bunker Valentin und Mitglied im Beirat der Bremer Stolpersteine.

taz: Herr Meyer, kommen Stolpersteine für Wehrmachtsgeneräle, die durch das NS-Regime getötet wurden, in Frage?

Marcus Meyer: Das ist schwierig zu beurteilen. Die Frage ist, ob man beispielsweise Stauffenberg auf die gleiche Ebene heben kann wie Menschen, die als Juden oder wegen ihrer politischen Haltung verfolgt wurden. Die Stolpersteine sind in erster Linie ein dezentrales Denkmal für getötete Menschen aus der Nachbarschaft. Sie haben eine einfache Erscheinung, dadurch bieten sie wenig Platz für eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Biografie der Opfer. Wo wird die Grenze vom Täter zum Opfer überschritten?

Die Tatsache, dass jemand ein Opfer der NS-“Justiz“ wurde, kann allein nicht ausreichend sein. Viele Offiziere haben das NS-Regime lange unterstützt, bevor sie in die Opposition gegangen sind. Auch wenn dies der Grund für ihre Ermordung war, sind die Beweggründe der Offiziere, dem Widerstand beizutreten, wichtig. Sind Steine für diese Offiziere den Angehörigen der Opfer der NS-Gewaltherrschaft denn vermittelbar?

Das kann ich nur schwer beurteilen. Ich kann mir aber vorstellen, dass es für einige Angehörige schwierig sein kann. Die Wehrmachtsgeneräle haben immer eine gemischte Biografie – sie sind nicht eindeutig Täter oder Opfer – und bewegen sich deshalb auf einer anderen Ebene.

Die Stolpersteine sind in der Vergangenheit mehrfach kritisiert worden. Wäre eine andere Art des Gedenkens besser?

Stolpersteine haben insofern ihre Berechtigung, als sie die Alltäglichkeit von Verbrechen verdeutlichen. Man sieht, wo Menschen gelebt haben, die ermordet wurden. Sie veranschaulichen auch die willkürliche Setzung von Normen, die die Grundlage für Verfolgungen bildeten. In Bremen werden auch die Biografien der Opfer veröffentlicht.

Gunter Demnig, der Künstler, der die Stolpersteine herstellt, verwendet auf den Steinen auch Begriffe der NS-“Justiz“. Ist das okay?

Ich habe Schwierigkeiten mit der Verwendung der Begriffe. Die gesetzten Anführungszeichen sind nur bedingt sinnvoll, denn es ist fraglich, ob dadurch deutlich wird, dass es sich um Tätersprache handelt. Begriffe können sich verselbstständigen und relativ unkritisch in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen werden – zum Beispiel der NS-Terminus „Machtergreifung“. Aber es handelt sich bei den Stolpersteinen ja um ein Kunstprojekt, bei dem der Künstler natürlich eine gewisse Gestaltungshoheit hat.

Interview: Jördis Früchtenicht

Podiumsdiskussion: 19 Uhr, Landeszentrale für politische Bildung, Osterdeich 6