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Archiv-Artikel

Schäbige Happy Ends

LITERATUR „Eigentlich peinlich“ fand Stefan Ehlert, dass Harry Crews so lange auf einen deutschen Verleger warten musste. Mit seinem Mox & Maritz Verlag schließt er die Lücke

Pete Butcher muss damit leben, dass er seinem kleinen Bruder mit einem Hammer einen irreparablen Hirnschaden zufügte

von Andreas Schnell

In den USA hat Harry Crews bereits über 23 Bücher veröffentlicht, die Universität seines Heimatstaates Georgia erwarb vor fünf Jahren das Archiv des Autors, Kim Gordon von Sonic Youth gründete mit Lydia Lunch und Sadie Mae eine Band namens Harry Crews und setzte noch einen drauf, als diese Band ihr Album nach dem zwanzig Jahre zuvor erschienenen Crews-Roman „Naked In Garden Hills“ betitelte, die kanadische Pop-Band schrieb einen Song namens „Harry Crews“ – und in Deutschland war bis vor ein paar Jahren kein einziges seiner Bücher erhältlich. Das änderte sich erst, als der kleine Mox & Maritz Verlag aus Bremen begann, Crews‘ Bücher in deutscher Ausgabe zu verlegen, angefangen mit „The Gipsy‘s Curse“, erschienen als „Der Fluch“. Hinter Mox & Maritz steckt nun kein finanzstarkes Unternehmen, das mit einer massiven Werbekampagne den Autor Harry Crews auf der literarischen Landkarte platzieren könnte. Mox & Maritz, das ist Stefan Ehlert, Verleger aus Leidenschaft, der seit über zehn Jahren Werke vor allem amerikanischer Underground-Literaten in deutscher Übersetzung verlegt, darunter die bereits erwähnte Lydia Lunch, der einstige Black-Flag-Sänger Henry Rollins und Michael Gira von den Swans.

Crews ist nun gewissermaßen ein Vorstoß in die Hochliteratur. Allerdings arbeitet der auch fern vom Mainstream, genießt, was man so abgeschmackt Kultreputation nennt und wofür man sich in der Regel wenig kaufen kann. Immerhin ist es wohl diesem Ruf zu verdanken, dass „Der Fluch“ kurz davor stand, mit Harvey Keitel und Johnny Depp in die Kinos zu kommen, was Crews wohl auch hierzulande bekannter gemacht hätte. Indes, der Film ist bis heute nicht vollendet. Ehlert bringt unterdessen unverdrossen ein Buch nach dem anderen heraus, in gebührendem Abstand, versteht sich, denn der Verleger übersetzt selbst, betreibt seinen Verlag außerdem neben dem Broterwerb, da schafft er im Schnitt zwei Bücher im Jahr. Es dauert, so lange es eben dauert. Kompromisse will Ehlert keine machen.

Seit dem „Fluch“ erschienen bei mox & maritz noch zwei weitere Crews-Romane, als zweites die im Deutschen neckisch „Nackig in Garden Hills“ getaufte Übersetzung von „Naked In Garden Hills“ und zuletzt „Scar Lover“. Wie zumeist, erzählt Crews auch hier von recht eigenartigen Gestalten mit noch viel eigenartigeren Problemen.

Marvin Molar, der Protagonist von „Der Fluch“, besitzt zwei Beine, die völlig unbrauchbar sind, außerdem ist er taub und stumm. „Nackig in Garden Hills“ erzählt von einem Jockey, der Angst vor Pferden hat, einem Pferd, das Selbstmord begeht, einem Mann, der mit Hilfe von Diätprodukten immer dicker wird und einer Dorfschönheit, die ihre Jungfräulichkeit partout nicht los wird. Und Pete Butcher, dessen Geschichte in „Scar Lover“ erzählt wird, muss damit leben, dass er seinem kleinen Bruder einst versehentlich mit einem Hammer einen offenbar irreparablen Hirnschaden zufügte. Im Verlauf des Romans gerät er in die Bande einer merkwürdigen Familie und ins Umfeld einer Art Voodoo-Priesterin, der er nicht über den Weg traut. Und er schließt eine seltsame Freundschaft mit einem eigenartigen alten Knaben, der ihm partout die Yaks im Zoo zeigen will. Dabei befreit er sich nach und nach von seiner Soziophobie und kehrt gewissermaßen ins Leben zurück. Ein Happy End, aber ein ziemlich schäbiges.

Seine Figuren vorzuführen, liegt Crews indes fern. Vielmehr zeigt er, wie sie, die alles andere als Helden ohne Fehl und Tadel sind, immer auch Unterlegene ihrer Lebensverhältnisse sind, im kleinen Sieg immer die große Niederlage finden und in der großen Niederlage den kleinen Sieg feiern.

„Dass den Mann 30 Jahre lang niemand auf Deutsch verlegen wollte, ist eigentlich peinlich“, sagte Ehlert mal in einem Interview. Und er lässt nicht locker. Eine Sammlung mit Kurzgeschichten und Crews‘ Memoiren sollen folgen. Am heutigen Samstag stellt Radek Krolczyk Autor und Verlag vor und liest aus der deutschen Ausgabe von „Scar Lover“.

■ Samstag, 19 Uhr, Villa Ichon