WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT: Schlapphüte, Mord und ein Skandal
Es ist eine tödliche Geschichte, angesiedelt zwischen Verfassungsschutz und Terrorismus. Sie endet als einer der größten Skandale der deutschen Rechtsgeschichte. Nein, das Thema ist nicht Zwickau, das dort beheimatete rechte Terrortrio oder dessen Verstrickungen mit dem Geheimdienst.
Die Rede ist von einem „Lockvogel“ mit Namen Ulrich Schmücker. Von der Polizei bei der Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags erwischt, wurde der Student von einem Mitarbeiter des Berliner Verfassungsschutzes zum Spitzeldienst erpresst. Der 22-Jährige, der sich der „Bewegung 2. Juni“ angeschlossen hatte, wurde dann in der Nacht zum 5. Juni 1974 im Berliner Grunewald erschossen aufgefunden – offenbar von Genossen als Verräter hingerichtet. Später stellte sich heraus: Die Waffe hatte der Verfassungsschutz geliefert, er ließ sie dann auch für beinahe zwei Jahrzehnte in einem Safe verschwinden.
Wer sich heute angesichts der Vorgänge um das Zwickauer Terrortrio verwundert die Augen über die Umtriebe des Verfassungsschutzes reibt, dem sei die Lektüre von „Kennwort Hundert Blumen“ von Stefan Aust empfohlen, der bereits vor dreißig Jahren die prekären Praktiken und Beweisfälschungen des Verfassungsschutzes aufdeckte (Konkret Literatur Verlag, 1980).
Wie viel die Verfassungsschützer damals über die Gefahr für ihren V-Mann wussten, ob sie seinen Tod sogar billigend in Kauf nahmen, ist bis heute nicht schlüssig geklärt. Nach einem 16 Jahre langen Gerichtsmarathon kapitulierte die Justiz und stellte das Verfahren wegen „unüberwindlicher Verfahrenshindernisse“ ein. Man führe sich vor Augen: Der „Thüringer Heimatschutz“, aus dem die Mörderbande hervorging, wurde von einem höchst agilen V-Mann des Landesamts angeleitet. Bleibt die vage Hoffnung, dass Austs „Hundert Blumen“ nicht als Blaupause für einen neuen Skandal gelesen werden muss.
■ Wolfgang Gast ist taz-Redakteur Foto: privat
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