: Ein weiterhin brennender Junge
SALONGEFLÜSTER „Die Heimatmusik nicht den Arschlöchern überlassen“ – Bernd Begemann besingt sich und sein Publikum beim Auftritt im Hôtel Concorde auf der Augsburger Straße
VON JAN SCHEPER
„Man darf die Heimatmusik nicht den Arschlöchern überlassen“, sagt der Mann im schwarzen Anzug. Dann lässt er die Gesichtsmuskeln spielen, greift nach der roten Krawatte und schmunzelt. Vorher hat Bernd Begemann seine Referenzen aufgezählt: Er war 1988 in der NDR-Schaubühne, er war mit R.E.M und den Goldenen Zitronen auf Tour (und – na klar – „besser!“). Er war Letzter beim Bundesvision Song Contest 2010 (mit der Freddie-Quinn-B-Seite „So geht das die ganze Nacht“). Kurzum, in der Lobby des Hôtel Concorde steht am Freitagabend eine Legende.
Und es gibt immer noch einige, die behaupten, Begemann habe die Geburtswehen der „Hamburger Schule“ musikalisch eingeleitet. Dass die den Kinderschuhen entwachsenen Kollegen stets erfolgreicher waren als er – und es bis heute sind –, scheint ihn nicht zu stören. Begemanns Ding ist, will man ihm folgen, die Basisarbeit. Er füllt keine großen Hallen, er spielt „manchmal auf Hochzeiten“.
Diesmal steht der Hamburger im Konzertsaal eines Berliner Kreuzfahrtschiffs. Zumindest sieht die Le Faubourg Lounge des Hôtel Concorde auf der Augsburger Straße genau so aus: Weiße Holzpaneele kleiden den ganzen Raum und die darüber liegende Galerie aus. Die Decke glänzt wie eine Discotanzfläche aus den 70ern. Knapp 30 Leute in Abendgarderobe fläzen sich in die kastenförmigen braunen Ledermöbel.
In den Ecken des Genres
Begemann ist zu Gast in der Reihe „Salongeflüster“, die sich das 5-Sterne-Haus als regelmäßiges Kulturprogramm gönnt. Das Konzept ist einfach umrissen: Deutsche oder französische Popmusiker werden einem Publikum vorgestellt, das sich sonst eher selten in die kreativen Ecken des Genres verirrt. Die Idee zur Veranstaltungsreihe hatte die Radiomusikjournalistin Wiebke Colmorgen (Flux FM, NDR Info Nachtclub Magazin).
Diesmal muss Colmorgen – in der gut zweistündigen Mischung aus Live-Songs und den Geschichten dazu – allerdings nicht mal moderieren. Begemann ist ein Unterhaltungsmonster. Sie muss eher aufpassen, dass der Hanseat nicht überzieht. In der ersten Hälfte wird die neue Platte „Wilde Brombeeren“ vorgestellt. Der Endvierziger ist in puncto Alben längst jenseits der 20 angekommen. Als sich Colmorgen ein von rotem Sirup gestütztes Wasser kommen lässt, erklärt Begemann, warum ihm die „proletarischen bäuerlichen Früchte“ so gut gefallen. Dann widmet er sich dem urbanen Diskurs, lässt Lieder wie „Teil einer lebendigen Stadtteilkultur“ oder „Die Slums von Eppendorf“ auf den dicken roten Teppichboden fallen. Spätestens nach 5 Minuten hat er das gediegene Berliner Publikum in Sakko und Abendkleid damit abgeholt. Und als er dann den „magischen Finger, der die Töne anzeigt“, in der Luft kreisen lässt und programmatisch bekennt, „ich krieg nur die Fahrtkosten und die Sultansuite“, hat er schon gewonnen.
Teil 2 des Abends ist den Klassikern wie „Ich bin dann soweit“, „Zweimal zweite Wahl“ oder „Schluss mit dem Quatsch (jetzt wird Geld verdient)“ vorbehalten. Beim Song „Der brennende Junge“ wird im angrenzenden Restaurant gerade irgendwas flambiert. Begemann erzählt, dass neulich in Stuttgart die Leute „durchgedreht“ wären, als er ihnen 7 Platten zum Preis von 5 angeboten hat, und dass der deutsche Rock ’n’ Roll in den 50ern eine geheime Geschichte der Bundesrepublik erzähle, die Guido Knopp verschweige.
Am Ende unterschreibt er dann noch „15 Jahre alte Autogrammkarten“. Wenn man Bernd Begemann („Große Worte bedeuten kleine Lieder“) dabei zuschaut, sieht man einen, der irgendwo zwischen Elvis und Bert Brecht zu Hause ist. Einen, der sich nach Hape Kerkelings Absage eigentlich mal bei ZDF-Intendant Thomas Bellut vorstellen könnte. Beim Casting in Mainz dürfte dann eine Nummer alle Zweifel ausräumen: „Bis du den Richtigen triffst – nimm mich“.
■ Bernd Begemann & Die Befreiung: „Wilde Brombeeren“, Tapete Records 2011