ALTER MEISTER : Zettels Raum
Die Werke Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle in Rom gelten als Meisterwerke. Extrem aufreibende Fleißarbeit, zugleich genial. Der zentrale Teil des Deckenfreskos zeigt die Erschaffung Adams. Der erste Mensch hebt schlaff seinen Finger und berührt den ausgestreckten Finger Gottes. Das Motiv findet sich auf allerlei Nippes. Nun herrscht in den Fassadenschluchten europäischer Innenstädte ein Post-it-war, in dem Büroangestellte aus bunten Klebezetteln Bilder an ihre Fassaden heften. Die Werbeagentur BBDO, die unter anderem Kampagnen für BMW und Dr. Oetker entwirft, sah darin wohl eine Herausforderung und schuf ein Zettelfresko, das nur schwer zu überbieten ist. Nach eigenen Angaben waren 20 Mitarbeiter außerhalb der Arbeitszeit damit beschäftigt, aus 25.000 Zetteln Adams Erschaffung in BBDOs Hamburger Gebäude auf vier Etagen nachzupixeln. Zum Meisterwerk wird das Werk nicht durch die geniale Farbgestaltung, sondern den Mut zum Vergänglichen. Haftzettel welken, fallen herab, verfärben sich. Weil eine Werbeagentur aber, anders als die katholische Kirche, nicht Äonen an ihren Schätzen festhalten kann und weiß, dass die Ware verkauft werden muss, solange sie frisch ist, wurden Teile des Klebebilds zu (klar!) wohltätigen Zwecken bei eBay versteigert, ein Bieter kaufte 70 Post-its für 40,50 Euro. Gezahlt wurde wohl pünktlich, Michelangelo musste seinem Geld noch nachlaufen. NAT