: Die Politik der Familie Pieper
Während die Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) die Einsetzung eines Ausschusses vorbereitet, hielt ihr Ehemann einen Vortrag über sein praktiziertes Modell einer guten Schule
von Klaus Wolschner
Die Konstellation hatte einen gewissen Reiz: Wilhelm Pieper, der Ehemann der Bremer Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD), war vom Zentralelternbeirat (ZEB) zu einem Vortrag mit dem Thema „Gemeinsam länger lernen?!“ eingeladen. Wilhelm Pieper hat lange Jahre die Gesamtschule „Franzsches Feld“ in Braunschweig geleitet, die aus der Hand des Bundespräsidenten den „Deutschen Schulpreis“ erhalten hatte. In einer Broschüre der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung war diese Gesamtschule als Vorbild für die sozialdemokratische Bildungspolitik in Niedersachsen gewürdigt worden. Autoren waren unter anderem Wilhelm Pieper und Renate Jürgens-Pieper.
Offenbar hatten diverse MitarbeiterInnen der Schulbehörde erwartet, dass man an jenem Dienstagabend einen von taktischem Kalkül freien Einblick in das schulpolitische Denken der Familie Jürgens-Pieper erhalten würde. Gekommen waren natürlich die VertreterInnen des ZEB, dazu zwei Schulrektoren. Die eigentlich angesprochenen Eltern schienen sich für das Thema nicht zu interessieren. Die Runde blieb einigermaßen intim.
Für Pieper ist klar, dass die Gesamtschule das Ziel sein muss – dafür hat er Jahrzehnte lang gearbeitet. Wobei genauso klar ist, dass eine integrative Gesamtschule ein ehrgeiziges Projekt ist, dass die Lehrer viel Engagement und den Staat mehr Geld kostet. Schon allein weil da nur 25 Kinder in einer Klasse sitzen, jedenfalls in dem Pieper-Konzept. „Ohne zusätzliches Geld, das kann ich etwas freier sagen als der andere Teil der Familie, geht es nicht“, bekannte Pieper.
Und dann erläuterte er die Eckpunkte seines Schulmodells. Punkt eins: „Wir haben uns zu sehr auf die Förderung der Schwachen spezialisiert.“ Die Schule für alle müsse „Leistungsstarke genauso fördern“, wenn sie von denen akzeptiert werden wolle.
Punkt zwei: „Zu jeder Schule gehört eine Oberstufe.“ Pieper hält gar nicht von den Bremer „Stufenschulzentren“, und er hält auch nichts von dem Versuch, Oberstufe und berufliche Bildung zu integrieren. Wenn Gesamtschulen für Jugendliche, die Abitur machen wollen, attraktiv sein sollen, dann müssen die eine direkte Anbindung an die gymnasiale Oberstufe haben. Übrigens sei die Oberstufe auch für die Schulkultur entscheidend. Punkt drei: Eine ideale Schule hat nicht mehr als 850 Schüler, 100 pro Jahrgang in der Mittelstufe, 70 pro Jahrgang in der Oberstufe. Größere Schulen werden unüberschaubar.
Punkt vier: Demokratie muss man üben, die ideale Schule ist drittelparitätisch organisiert. LehrerInnen, SchülerInnen und ElternvertreterInnen haben dasselbe Gewicht. LehrerInnen zensieren nicht die SchülerInenn, sondern schreiben Entwicklungsberichte – und zu jedem Entwicklungsbericht an der Modellschule gehört eine Seite, auf der die SchülerInnen sich selbst bewerten.
Die VertreterInnen des ZEB waren sichtlich beeindruckt von dem vorgetragenen Modell, das zudem den Reiz hat, dass es funktioniert in Braunschweig. Ein Lehrer hingegen vertrat die Auffassung, das Modell sei nicht anwendbar auf Schulen, in denen 50 Prozent der SchülerInnen nicht deutsch als Muttersprache hätten. Und der Schulleiter des Kippenberg-Gymnasiums sagte, es müsse auch durchgängige Gymnasien geben. Und alle Anwesenden hätten nur gern gewusst, was die Schulsenatorin zu diesem Modell sagt.