: Der erste Urlaub unter Hippies
Dem Tüftler beim Tüfteln zusehen: Der Comiczeichner Mawil stellt die neuste Nummer seiner Pubertätsbetrachtungen in der Galerie Neurotitan samt Entwürfen vor
Im Grunde ist es eine ganz pubertäre Schlüssellochfantasie, die der Berliner Comiczeichner Mawil in die Galerie Neurotitan gehängt hat: ein großer Karton mit einem kleinen Guckloch, das, wenn man durchschaut, einen Strand voll nackter Frauen sehen lässt. Sie planschen im Wasser, spielen Volleyball, rekeln sich auf Handtüchern. So ungefähr stellen sich Heranwachsende das Paradies vor.
Den wilden Jahren der Jugend, oder eben den schrecklichen der Pubertät, hat sich der 31-jährige Markus Witzel in seinem inzwischen siebten, wieder autobiografischen Comicband „Action Sorgenkind“ gewidmet. Es geht um die große Liebe im Ferienzeltlager, um Mawils Kampf gegens Stottern, um seine kurze Karriere als halbkrimineller Graffitisprayer, um das erste Auto, einen leider türkisgrünen Skoda, und um den ersten Urlaub in einer Hippiekommune – also um all die Dinge, die man erlebt haben muss, wenn man als Jugendlicher cool sein will. Und die, zumindest wenn man so ein sympathischer Loser wie Mawil ist, natürlich furchtbar danebengehen.
Es kann höchst peinlich sein, anderen Menschen dabei zuzuschauen, wie alles schief läuft in ihrem Leben, aber bei Mawil ist es ein Vergnügen – so unprätentiös geht er mit seinem Leben um. Die Hauptfigur ist immer er selbst: ein mit ein paar Strichen gezeichneter mittelgroßer Typ mit einer großen Brille, hinter der man die Augen nicht mehr sieht, einer unförmigen Haarmatte auf dem Kopf und sieben, acht Bartstoppeln am Kinn. Der Kopf geht halslos in einen Körper über, der einiges einstecken muss: Prügel, Polizeikontrollen, kalte Duschen – das volle Programm.
Trotz der eigentlich einfachen, fast kindlichen Zeichnungen entdeckt man in Mawils Gesicht auf jeder Seite eine neue Nuance, Resignation, Hilflosigkeit oder Melancholie, die oft in die stumme Frage mündet: Wie konnte das passieren, und wie bin ich hier gelandet? Und meistens ist das ziemlich witzig, weil Mawil sich selbst so wenig ernst nimmt – genau wie das Leben, dass immer so gnadenlos fies ist, dass man dem allen nur mit mildem Zynismus begegnen kann. Für diese Alltagserzählungen wurde Mawil zu Recht zum erfolgreichsten Vertreter einer jungen Comicgeneration, die genug hatte von sperrigen Kunstcomics.
In die Ausstellung hat Mawil zwischen die gedruckten Comics seine Originalzeichnungen gehängt. An den Skizzen und Entwürfen, Überklebungen und Tipp-Ex-Korrekturen sieht man sehr schön, wie Mawil arbeitet und wie lange er zum Teil an einer Szene tüftelt. Auch sonst finden sich in der Ausstellung viele liebevoll gestaltete Details aus dem Mawil-Universum, eine Collage aus Mawils Lieblingsplatten zum Beispiel mit selbstgestalteten Plattencovern.
Auf die Rückseite von „Action Sorgenkind“ hat Mawils Texter Jochen Schmidt einen Satz geschrieben: „Jede Gesellschaft muss sich daran messen lassen, ob die Mawils in ihr glücklich sind.“ Eigentlich ist dem nichts mehr hinzuzufügen.
ADRIAN RENNER
Galerie Neurotitan, Haus Schwarzenberg, Rosenthaler Str. 39, Mo., Mi.–Sa. 12–20 Uhr, So. 12–18 Uhr, bis zum 1. 12. Action Sorgenkind, erschienen bei Reprodukt, 10 €