: Nicht mehr und auch nicht weniger
SPD Auf ihrem Parteitag stimmen 39 Sozialdemokraten gegen eine Koalition mit der CDU. Ein Stolperstart in eine Arbeitsbeziehung
■ Die Industrie- und Handelskammer (IHK) hat den Koalitionsvertrag von SPD und CDU positiv bewertet. „Die Linie stimmt. Wir haben viel Licht, wenig Schatten“, sagte Hauptgeschäftsführer Jan Eder am Dienstag. Die Kammer sieht in der Absichtserklärung den Beginn eines wirtschaftlichen Aufholprozesses. Die IHK hob das Bekenntnis zu Großprojekten hervor – wie den Hauptstadtflughafen, den Ausbau der Stadtautobahn und den geplanten Industriepark Tegel. Wichtig sei auch, dass Rot-Schwarz Arbeitslose für reguläre Beschäftigung fit machen wolle, anstatt sie in öffentlichen Maßnahmen zu parken. (dpa)
VON UWE RADA
Nach zweieinhalb Stunden unterbricht Karin Seidel-Kalmutzki den Parteitag der SPD für eine kurze Mitteilung. „Ich möchte euch darüber informieren, dass die CDU dem Koalitionsvertrag zugestimmt hat“, sagt die Noch-Abgeordnete, die für die SPD eigentlich Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses werden sollte. Dann fügt sie hinzu: „Ohne Aussprache und mit einer Zustimmung von hundert Prozent.“ Durch die 227 Delegierten der Sozialdemokraten im Leonardo Royal Hotel an der Otto-Braun-Straße geht ein Raunen. Dann setzt die Rednerin, die von Seidel-Kalmutzki unterbrochen wurde, ihren Beitrag fort. „Bei uns wird wenigstens noch diskutiert“, sagt sie, fast trotzig.
Diskutiert haben die Genossinnen und Genossen tatsächlich, mehr als drei Stunden lang. Vor der Unterbrechung hatten Landes- und Fraktionschef Michael Müller und Klaus Wowereit, der alte und neue Regierende Bürgermeister, um Zustimmung für den 98 Seiten starken Koalitionsvertrag geworben, den SPD und CDU ausgehandelt haben. Dennoch bleibt der SPD-Führung ein ähnlich deutliches Ergebnis wie der CDU versagt. Zwar geben 176 Delegierte dem Bündnis mit der CDU ihr Jawort. Sieben Delegierte aber enthalten sich und 39 stimmen dagegen. Macht eine Zustimmung von nur 79 Prozent. Ein Stolperstart in eine Arbeitsbeziehung.
Michael Müller ist dennoch nicht enttäuscht. Gleich nach der Abstimmung zeigt er Journalisten einen Zettel, auf den er „40“ geschrieben hat. Mit ebenso vielen Neinstimmen hat Müller gerechnet. Nun ist es sogar eine weniger. Michael Müller, das soll die Episode mit dem Zettel wohl bedeuten, kennt seine Partei. Wohl auch deshalb hat er in seiner Rede noch einmal weit ausgeholt. „An die CDU muss man sich erst noch gewöhnen. Es ist immer noch nicht einfach, mit Herrn Steffel zu verhandeln“, sagt Müller an die Adresse des einstigen CDU-Spitzenkandidaten gerichtet. „Aber die Koalitionsverhandlungen waren gute erste Schritte in ein neues Bündnis.“
Eine nette Geste ist das nicht – zumal Klaus Wowereit zuvor eine abwertende Bemerkung gegenüber der CDU aus dem Wahlkampf korrigieren musste. Aber sie zeigt: Ohne die sozialdemokratische Seele zu streicheln, stößt auch ein Koalitionsvertrag mit der CDU, der aus „roter Tinte“ besteht, wie Müller betont, nicht automatisch auf Zustimmung. Rot-Schwarz, das hat der Parteitag am Montagabend gezeigt, ist keine Liebesheirat. Es ist ein Bündnis auf Zeit. Nicht mehr.
Ein SPD-Sprecher
Aber auch nicht weniger. Immerhin galt Rot-Grün noch kurz nach den Wahlen als Wunschkoalition der Sozialdemokraten. Dass es am Ende des mehr als vier Stunden dauernden Parteitags nur 39 Gegenstimmen gibt, hat auch mit mangelnden Alternativen zu tun. „Die A 100 war nur ein Symbol“, ätzt Klaus Wowereit am Montag in Richtung der Grünen. „Wir wären bei vielen anderen Themen immer wieder an denselben Punkt gekommen.“ Die Sondierungen mit den Grünen und den Abbruch der Koalitionsverhandlungen nach nur einer Stunde nennt Wowereit ein „Desaster“. Die Verantwortung dabei habe aber eindeutig bei den Grünen gelegen. „In den Sondierungen hatte man manchmal das Gefühl, dass da nicht eine Partei auftrat, sondern zwei oder gar drei Parteien.“ Wowereits Fazit: „Die Grünen sind nicht regierungsfähig.“
Allerdings wirkt Wowereit bei seiner Rede weniger kämpferisch als sonst. Vielleicht hat er auch schon den Donnerstag im Hinterkopf. Bei der zweiten Sitzung des Abgeordnetenhauses nach der Wahl soll Wowereit zum dritten Mal zum Regierenden Bürgermeister gewählt werden. Ein bisschen unwohl dürfte ihm da sein – auch wenn Rot-Schwarz über eine Mehrheit von 11 Stimmen über der absoluten Mehrheit von 75 Stimmen verfügt. Dennoch hat die SPD vorgesorgt. Nachdem der Regierende 2006 im ersten Wahlgang durchgefallen war, werden die Senatoren diesmal erst nach Wowereits Wahl bekannt gegeben. Potenzielle Racheakte sind somit nicht zu befürchten.
So ist die dritte Amtsperiode Wowereits ebenso mutlos wie der Koalitionsvertrag. Den Regierenden kümmert das wenig. „Richtig geärgert hat mich nur die Kritik der Journalisten an mangelnden Visionen“, ruft er den Delegierten zu. Ein SPD-Sprecher am Rande des Parteitags: „Erfolg ist, wenn wir endlich die rote Laterne abgeben.“