: Die furchtlose Lehrerin
Diese Frau ist wahrhaft unerschrocken. Ihr Mann wurde ermordet, sie selbst im Gefängnis gefoltert – trotzdem gründete sie eine Frauenorganisation im kurdischen Südosten der Türkei, womit sie sich auch noch den Zorn vieler kurdischer Männer zuzog.
Nebahat Akkoc ist Lehrerin, als der Krieg zwischen der kurdischen PKK und der türkischen Armee Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre immer mehr eskaliert. Sie engagiert sich mit ihrem Mann in der Lehrergewerkschaft Egitim Sen dafür, dass in der Grundschule Kurdisch als Unterrichtssprache zugelassen wird. Ihr Mann wird daraufhin auf dem Weg zur Schule 1993 erschossen, sie selbst wird verhaftet und erlebt im Gefängnis die Schrecken der Folter.
Doch Nebahat Akkoc lässt sich nicht einschüchtern. Nachdem sie im Gefängnis noch einmal die spezifische Gewalt gegenüber Frauen erfahren hat, beschließt sie, als Lehrerein aufzuhören und sich ganz der Menschenrechtsarbeit zu widmen. Sie engagiert sich im Menschenrechtsverein IHD in Diyarbakir, der größten kurdischen Stadt im Südosten und Brennpunkt der Auseinandersetzungen zwischen den Kurden und dem Staat. Nach einigen Jahren im IHD beschließt sie, einen Verein zu gründen, der sich vor allem um Frauen kümmert, KAMER. Denn neben der staatlichen Gewalt waren und sind Frauen gleichzeitig oft auch massiver häuslicher Gewalt ausgesetzt. Akkoc sagt patriarchalischen Strukturen, die auch sogenannte Ehrenmorde gegen Frauen mit einschließen, den Kampf an.
Dabei beweist sie besonderen Mut, weil sie sich mehrfach, vor allem wenn sie zum Schutz von Frauen auch die (türkische) Polizei einschaltet, dem Vorwurf ausgesetzt sieht, kurdischen Kämpfern in den Rücken zu fallen. Breitenwirkung entfaltet KAMER erst, nachdem die Kämpfe in den 2000er Jahren abflauten und das Kriegsrecht in den kurdischen Gebieten aufgehoben wurde. Seitdem expandiert der Verein zügig und ist heute in fast jeder Stadt in den kurdischen Gebieten der Türkei vertreten.
Nebahat Akkoc bekommt heute Abend von der Böll-Stiftung in Berlin den Anne-Klein-Frauenpreis für ihr mutiges Eintreten gegen Gewalt gegen Frauen überreicht. Sie nimmt den Preis stellvertretend für viele Mitstreiterinnen, die mittlerweile in KAMER aktiv sind, entgegen. Das Preisgeld von 10.000 Euro will sie in den weiteren Ausbau von KAMER stecken.
JÜRGEN GOTTSCHLICH