: „Tourismus ist kein Allheilmittel“
Auch im Bundestag wird nach jahrelanger Enthaltung wieder über Tourismus als Strategie der Entwicklungspolitik diskutiert. „Es ist ein Fehlschluss, zu glauben, dass der Tourismus ein schneller Ausweg aus der Armut ist“, sagt die Geschäftsführerin des Schweizer arbeitskreises tourismus & entwicklung
Die Historikerin ist seit 1988 im arbeitskreis tourismus & entwicklung tätig, seit 2000 in geschäftsleitender Funktion. 1986 promovierte sie in Paris mit einer Dissertation zum Tourismus auf den Malediven. Das Reisegeschäft kennt sie auch aus langer Praxiserfahrung im Hotelfach und als Reiseleiterin. Sie hat zahlreiche Bücher und Fachbeiträge zu unterschiedlichsten Aspekten des Tourismus verfasst. Für ihren „kontinuierlichen Einsatz für eine faire und maßvolle Entwicklung in touristisch bewirtschafteten Ländern“ wurde sie im Januar 2005 von der Vereinigung der europäischen Reisejournalisten mit dem „European Tourism Gold Stars Award“ ausgezeichnet.
INTERVIEW EDITH KRESTA UND GÜNTER ERMLICH
taz: Bei einer Diskussion über Fliegen und Klimawandel vertrat der Manager eines Touristikkonzerns drei Thesen zum Dritte-Welt-Tourismus. Seine erste These: „Wir müssen mehr reisen zugunsten der Entwicklungsländer.“ Richtig oder falsch?
Christine Plüss: Diese These kann ich nur unterschreiben. Allerdings befürchte ich, dass wir nicht dasselbe meinen, wenn wir von „zugunsten der Entwicklungsländer“ sprechen. Für mich heißt das, nicht einfach mehr reisen, sondern dass der Tourismus der breiten Bevölkerung mehr Nutzen bringt.
Die zweite These lautet: „Fliegen ist für die touristische Entwicklung der Entwicklungsländer unverzichtbar.“
Das stimmt. Die Frage ist nur, wie viel und wie oft man fliegt. Wir von akte wollen, dass die Wertschätzung von Reisen wieder steigt und Ferien nicht als Ramschprodukt vermarktet werden. Das heißt, dass man nur alle drei bis fünf Jahre in ein Entwicklungsland reist und versucht, möglichst länger dort zu bleiben. Bis zu tausend Kilometer sollte man ohnehin mit der Bahn fahren, und wenn man fliegt, dann zumindest mit einem Beitrag den klimaschädlichen CO2-Ausstoß kompensieren. Aber nicht eine Woche „Domrep“, weil das billiger ist als die Ostsee.
Das führt zur dritten These: „Ghana statt Garmisch. Wir müssen Touristen gewinnen, um einen politischen Beitrag zu leisten für die Entwicklungsländer und zur Bekämpfung der Armut.“
Ich finde es sehr verhängnisvoll, Ghana gegen Garmisch auszuspielen. Beide brauchen eine umwelt- und sozialverantwortliche Tourismusentwicklung, von der die breite Bevölkerung profitiert. Und bei der die natürlichen Ressourcen geschont werden. Eine verträgliche Entwicklung im nahen Umfeld gezielt voranzutreiben ist heute entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des Tourismus.
Heute wird jede touristische Großanlage als Entwicklungshilfe verkauft. Müssen Entwicklungsländer froh sein, wenn für sie überhaupt ein paar Brosamen vom Tourismuskuchen abfallen?
Diesen Zynismus kann ich nicht teilen. Es gibt tatsächlich eine sehr problematische Tendenz: Allen Ländern wird der Tourismus gleichermaßen für ihre Entwicklung empfohlen. Dadurch machen sich diese Länder untereinander starke Konkurrenz. Ein Überangebot auf dem Weltmarkt und Preisverfall sind die Folgen. Die Hoteliers müssen ihre Betten dauernd unter Wert verkaufen. Jedes Bett, das nicht verkauft wird, ist ein herber Verlust.
Weil sich der Tourismus nicht lagern lässt wie Kakao?
Genau. Deshalb ist bei allem, was die Förderung des Tourismus im herkömmlichen Sinn betrifft, allerhöchste Vorsicht geboten. Gibt es Einbußen durch Tsunami, Hurrikane oder politische Ereignisse wie jetzt in Birma, dann kommen die Touristen nicht mehr, und die Armut greift weiter um sich.
Abhängigkeit, Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt, Fehlen von Mitbestimmung – aus diesen Gründen wurde in Deutschland Ende der Siebzigerjahre die Entwicklungshilfe für touristische Projekte eingestellt. Heute versuchen Regierungskoalition und Grüne mit Anträgen im Bundestag, den Tourismus wieder verstärkt in den Mittelpunkt der Entwicklungspolitik zu stellen. Hat sich etwas verändert?
Das hängt damit zusammen, dass viele Entwicklungsmodelle gescheitert sind. Es gibt in der Entwicklungszusammenarbeit eine Ernüchterung. Deshalb ist der Tourismus nach Jahren der Skepsis als Entwicklungsstrategie nun wieder in den Mittelpunkt gerückt. Aber der Tourismus ist beleibe kein Königsweg zur Entwicklung.
Auch die UN-Welttourismusorganisation (UNWTO) hat mit den Millenniumszielen den Tourismus als Königsweg zur Armutsbekämpfung weltweit propagiert.
Es ist ein Fehlschluss, zu glauben, dass der Tourismus ein schneller Ausweg aus der Armut ist. Die Aussage der WTO, Tourismus sei das beste Mittel zur Armutsbekämpfung, verführt zu Kurzschlüssen und verschleiert, wie kompliziert Entwicklung eigentlich ist. Wir sehen, dass Tourismus zwar relativ schnell hohe Einkommen bringen kann. Er bedarf aber auch großer Investitionen. Vor allem wenn man den internationalen Tourismus mit seinem hohen Standards anpeilt. Damit sich der Nutzen besser verteilt in einer Gemeinschaft, muss sich diese zunächst organisieren können. Das ist ein langwieriger Prozess. Sonst profitieren wie gewohnt ein paar wenige, während der Rest der Gemeinschaft weiter verarmt.
Was könnten denn die Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit im Tourismus sein?
Entwicklungshilfe kann auf keinen Fall dazu dienen, die Infrastruktur für ein privat betriebenes Business aufzubauen. Sie muss die Menschen vor Ort zur Mitbestimmung befähigen. Sie müssen ausgebildet werden. Eine nachhaltige Entwicklungsstrategie kann es nur mit Partizipation der einheimischen Bevölkerung geben. Aber diese Leitlinien der Entwicklungszusammenarbeit kommen bisher im Tourismus kaum zur Anwendung. Da wird überall ein bisschen ausprobiert.
Große Hotelketten wie Sandals oder Accor haben längst erkannt, dass sie ihr Unternehmen sozial verträglicher machen müssen. Aus Altruismus?
Das ist sicher gut fürs Image und gewährleistet auch ein gewisses Mass an Sicherheit für die Gäste. Die unternehmerische, soziale Verantwortung, die Corporate Social Responsibility (CSR), hat bei den Hoteliers genau aus diesem Grund eher Fuß gefasst als bei den Veranstaltern. Wenn die Einheimischen von einer Hotelanlage profitieren, werden sie diese nicht sabotieren. In Gambia zum Beispiel hat man Obsthändlerinnen, die von den All-inclusive-Resorts ausgeschlossen waren, ganz bewusst in die Anlage reingeholt. Dies geschah auf Druck einheimischer Organisationen. Solche Vorstöße kommen in der Regel erst auf Druck von außen zustande. Es ist zu begrüßen, wenn sich beispielsweise große All-inclusive-Resorts darum bemühen, Produkte aus der Region zu verwerten und faire Löhne zu zahlen. Aber das hängt immer vom Goodwill des „Patrons“ ab.
Akte macht Kampagne mit dem Slogan: Fair handeln auch im Tourismus. Kann man den fairen Handel mit Bananen auf den Tourismus übertragen?
Sicher nicht so einfach. Doch Südafrika zeigt einen Weg. Dort gibt es seit 2003 das Gütesiegel von Fair Trade in Tourism South Africa (FTTSA). Dazu gehören community based Pensionen genauso wie Luxusresorts, aber auch Ausflugsangebote. Das funktioniert, weil es ganz klare Kriterien gibt wie Arbeitsbedingungen, faire Preise, die ökonomische Entwicklung des Umfelds unter Berücksichtigung der Ökologie. Man kann bisher nur einzelne touristische Produkte wie Unterkünfte glaubwürdig zertifizieren, aber kein komplexes Reisepaket. Ich sehe allerdings die Möglichkeit, dass so ein länderspezifisches Label auch in anderen Ländern entwickelt werden kann. Wer dieses Label bucht, hat eine gewisse Sicherheit, dass die Einheimischen gerechter am Tourismus teilhaben und die Umwelt geschont wird.
Es gibt eine Inflation von Tourismus-Gütesiegeln. Wie soll sich der Verbraucher in dem Dschungel orientieren? Wie macht man die Angebote mit Fair-Trade-Siegel aus Südafrika bei uns in Europa bekannt?
Unter der verwirrenden Vielzahl der Gütesiegel ist das FTTSA-Label eines der wenigen, die soziale Aspekte wie faire Arbeitsbedingungen berücksichtigen. Wir sind deshalb in der Schweiz mit Vertretern von FTTSA zu den Südafrika-Veranstaltern gegangen. Heute haben alle großen Veranstalter, die Reisen nach Südafrika anbieten, Betriebe mit diesem Gütesiegel im Katalog und sich dazu verpflichtet, das Gütesiegel darin vorzustellen. Das gibt der Kundschaft einen griffigen Hinweis und stärkt lokale Initiativen, wie wir es auch anderweitig, in Brasilien oder dem südindischen Kerala, bezwecken.
Was bei der Banane der Händler ist, ist beim Tourismus der Veranstalter. Wie sieht es mit der Einbindung der Reiseveranstalter aus?
Zu seinem 30. Geburtstag lancierte der Schweizer arbeitskreis tourismus & entwicklung zusammen mit seiner Partnerorganisation Kabani – the other direction aus dem südindischen Kerala – einen Wettbewerb für einheimische Fotografen zum Thema, wie sie den Tourismus in Kerala sehen. Einmal sind nicht die Touristen am Knipsen, sondern sie werden selbst zum Fotosujet. Die Bilder der jungen Fotografen aus Kerala – der boomenden Feriendestination an der Südspitze Indiens – berichten von Begegnungen zwischen fremden Gästen und Einheimischen, die kaum oder gar nicht stattfinden, aber dennoch deutliche Spuren hinterlassen. Der Blick der indischen Fotografen ist prüfend, kritisch, fragend; er widerspiegelt aber auch den Stolz auf das Eigene, die Schönheit der Landschaft und die Vielfalt der Kultur. Ihre Wahrnehmung – zwiespältig und teils unbeholfen – setzt einen Kontrapunkt zu den Hochglanzbildern der Tourismuswerbung.
Das ist noch offen. Es geht heute darum, dass die Reiseveranstalter ihre Selbstverpflichtungen im sozialen Bereich entsprechend ausbauen. Die Mechanismen sind vorhanden; dieser Ansatz sollte konsequent verfolgt werden. Man könnte zum Beispiel ein Unternehmensranking in Bezug auf unternehmerische Verantwortung (CSR) machen. Die Besten könnten dann privilegierte Partner von belabelten Produkten in einem Land werden. Ein gangbarer Weg, der auch der Kundschaft bei uns entgegenkommen würde.
Fairer Handel – bloß zur Orientierung der Verbraucher oder für effektiv gerechtere Handelsbedingungen zugunsten von Benachteiligten in den Tourismusländern?
Für uns bietet das Fair-Trade-Programm die Möglichkeit, auch gegen die Liberalisierung im Tourismus unter den Freihandelsabkommen (Gats) anzugehen. Wenn sich alle Länder verpflichten, weiterhin den Tourismus zu liberalisieren, dann lässt das wenig Gutes in Bezug auf Partizipation und Gerechtigkeit ahnen. Wichtige Entscheidungen auf lokaler Ebene für einen verantwortlichen Tourismus werden durch die Liberalisierungen im Rahmen der internationalen oder bilateralen Freihandelsabkommen unterlaufen. Deshalb setzen wir uns mit politischer Lobbyarbeit etwa bei der Schweizer Regierung dafür ein, dass keine weiteren Liberalisierungen im Tourismus vorgenommen werden, ohne deren Folgen für die Einheimischen zu prüfen. Bislang viel Knochenarbeit mit wenig Aussicht auf Erfolg.
Gibt es einen touristischen Markt für faire Angebote?
Die Kundschaft ändert sich mit zunehmender Reiseerfahrung. Leute, die mehr gereist sind, haben mehr erlebt und auch die negativen Auswirkungen des Tourismus gesehen: verschandelte Umwelt, bettelnde Kinder. Sie sind für soziale Fragen einfacher zu sensibilisieren. Es gibt ein Bedürfnis nach Alternativen. In der Schweiz wird heute schon jede zweite Banane fair gehandelt. Auch für faire Reisen gibt es ein Potenzial.
Was ist der Mehrwert einer fairen Reise?
Ein gutes Gewissen, aber vor allem Erfahrungen, die über einen 08/15-Urlaub hinausgehen, mehr Sicherheit und die Aussicht, auch künftig schöne Ferien verbringen zu können.
Der arbeitskreis tourismus & entwicklung (akte) in Basel feiert seinen 30. Geburtstag. Die Feier findet am 20. November ab 16.30 Uhr im Cinématte Bern statt mit der Vernissage der Ausstellung „Ihre Ferien – unsere Heimat“. Akte hinterfragt den Tourismus aus entwicklungspolitischer Sicht, informiert Ferienreisende und die Öffentlichkeit, engagiert sich im kritischen Dialog mit Tourismusunternehmen für gerechte, faire Beziehungen im Tourismus, das heißt für eine faire Partizipation der Einheimischen am Tourismus. „Fair unterwegs“ heißt die Kampagne von akte.
www.fairunterwegs.org ist ihr unabhängiges, nicht gewinnorientiertes Reiseportal. Hier können Touristen von Afghanistan bis Zypern nach Infos surfen und Fair-Tipps anklicken zur Reisevorbereitung und für unterwegs, zur Wahl von Reiseangeboten und zum Buchen. (akte, Missionsstraße 21, CH-4003 Basel, Tel. + 4 16 12 61 47 42, info@akte.ch, www.akte.ch.
Tourism Watch ist die Arbeitsstelle Ferntourismus des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) in Bonn. Die Organisation wirkt mit bei Kampagnen zum „Dritte-Welt-Tourismus“, setzt sich für einen umweltverträglichen und sozial verantwortlichen Tourismus ein und macht unter anderem den vierteljährlichen Newsletter „TourismusWatch“. Tel. (02 28) 81 01 23 02, tourism-watch@eed.de, www.tourism-watch.de)
Respect – Institut für integrativen Tourismus & Entwicklung – ist ein unabhängiger, international tätiger Non-Profit-Verein mit Sitz in Wien. Respect widmet sich vorrangig den Themen des weltweiten Tourismus und der nachhaltigen Entwicklung und setzt sich für „die Selbst- und Mitbestimmung der Menschen in den bereisten Ländern und Regionen ein“. Tel. +43 18 95 62 45, office@respect.at, www.respect .at.
„Fair Trade in Tourism South Africa“ (FTTSA) ist eine Non-Profit-Organisation in Südafrika. Sie hat das erste Fair-Trade-Label für fairen Tourismus entwickelt und umgesetzt und zertifiziert touristische Unternehmen nach strengen Richtlinien. FTTSA gilt mit seinem Label als Vorreiter für Fairness in der Tourismusbranche info@fairtourismsa.org.za, www.fairtourismsa.org.za.
Kabani – the other direction – ist eine kleine Initiative im südindischen Bundesstaat Kerala. Sie bietet Home Stays bei Bauernfamilien als faires Tourismusmodell an und setzt sich für eine nachhaltige Tourismusentwicklung ein. info@kabani.org, www.kabani.org.
GÜNTER ERMLICH
Aber der große Markt läuft doch nach wie vor über Billigflieger und Dumpingpreise.
Der Preis ist zweifellos wichtig, aber auch hochpreisige Reisen verkaufen sich derzeit gut. Und eine sozial verträgliche Reise muss nicht teurer sein als ein Sterne-Angebot.
30 Jahre arbeitskreis tourismus & entwicklung. Wie sieht Ihre Bilanz aus?
Insgesamt ist die kritische Arbeit zum Tourismus, dem immerhin wichtigsten Wirtschaftszweig der Welt, zu wenig schlagkräftig. Ich sehe trotzdem positive Veränderungen: Vor zehn Jahren war der Klimawandel noch kein Thema, jetzt steht auch die Armutsbekämpfung auf der Agenda, man achtet verstärkt auf Nachhaltigkeit in den Destinationen. Das Bewusstsein ist gewachsen.
Prognosen zufolge sollen sich die Reisen bis zum Jahr 2020 von derzeit 800 Millionen auf 1,6 Milliarden verdoppeln. Haben kleine community-based Projekte vor diesem Hintergrund überhaupt eine Relevanz?
Tourismus ist kein Allheilmittel und nicht überall eine kluge Strategie. Viele Gemeinschaften weltweit haben mit Tourismus schlechte Erfahrungen gemacht. Im Gegensatz dazu läuft ein Projekt im Nordosten Brasiliens, im Fischerdorf Prainha do Canto Verde, sehr gut. Den Fischern gehören nicht nur die Boote, sondern nach jahrelangen Kämpfen mit den Behörden und gegen Immobilienspekulanten auch der Boden. Solche Projekte haben große Relevanz, weil es unendlich viele kleine Gemeinschaften weltweit gibt, die etwas im Tourismus machen. Wenn sich ein Dorf ökonomisch so stabilisiert, dass sich viele Menschen qualifizieren können, dann ist für dieses Dorf viel erreicht. Und das ist letztlich Ziel einer Entwicklung. Dadurch ist mehr gewonnen, als wenn man ein Großhotel mit tausenden von Angestellten hinstellt, die aber alle mehr oder weniger in Slums darben.