EINGESCHLICHEN
: Ganz in Grau

Ich bemühe mich, kühl zu bleiben wie ein Windstoß

Verzeihen Sie, dass ich mich hier so einschleiche, aber Sie werden einsehen, es bleibt nicht viel Zeit, die Arbeit drängt. Eine kurze Vorstellung muss uns genügen. Ich bin die Novemberdepression unserer werten Autorin, doch der Name trügt. Ich komme im November, so wie der Nordwind von Norden her weht, doch ich bleibe länger, ja, ich bleibe bis zum Frühjahr. Meine Kräfte werden mindestens ausreichen, um die Autorin noch bis Mitte März zu begleiten. Ich nehme meine Aufgabe sehr ernst.

Mir ist bewusst, dass ich keineswegs auffällig bin, doch Sie werden verstehen, das gehört zum Programm. Ich trage stets diesen asphaltfarbigen Anzug, den Sie hier sehen, dazu dunkelgraue Schuhe und jenen aschfahlen Hut. Ein zarter Nebelschleier begleitet mich, manchmal Nieselregen. Die Bleistiftnotizen in meinem hellschwarzen Notizbuch werden Sie nie zu Gesicht bekommen.

Ich arbeite eng mit der Bank meiner Autorin zusammen, denn ich gebe zu, ich schätze einen bodenständigen Materialismus. Man muss realistisch bleiben, nicht wahr? Wir schicken der Autorin regelmäßig hellgraue Briefe, in denen wir mit der Pfändung ihres Kontos drohen. Ein schlichtes, doch wirksames Mittel. Ich halte es mit Brecht: Erst kommt das Fressen. Gelegentlich stelle ich zusätzlich Heizung und Warmwasser ab, auch das: einfach, aber effektiv. Die Autorin soll sich von allen Seiten verachtet fühlen. Man würde heute vielleicht sagen: ganzheitliches Denken. Hass wäre ein zu starkes Wort.

Ich bemühe mich, kühl zu bleiben, wie ein Windstoß, der die Reste aus dem Aschenbecher bläst und dabei noch ein paar Zettel fortweht. Vielleicht ein Brief, den die Autorin begonnen hatte zu schreiben. Der Nieselregen verwischt die letzten Spuren. Auch das gehört zum Programm. Doch bitte entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun. MARGARETE STOKOWSKI