EINS, ZWEI GEDANKEN ÜBER DEN SCHLAF
: Schlafes trunksüchtiger Onkel dritten Grades

Liebling der Massen

ULI HANNEMANN

Es wird wohl an der Jahreszeit liegen und der dazugehörigen Erbsensuppe aus Blei, die einem heute die Lider mit Gewalt zudrückt und die einem Dinge egal sein lässt, die einem an anderen Tagen niemals gleich wären.

Ich möchte ein Murmeltier sein, das sich tief in seinem dunklen Bau aus Daunendecken vergräbt und selig ratzt, bis im April die Schneeschmelze einsetzt – sicher und behaglich wie eine braune Terrorzelle im warmen Schoß des thüringischen Verfassungsschutzes. Jedenfalls wird der Schlaf auf einmal zum alles beherrschenden Thema.

Schlaf ist schon ein merkwürdiger Zustand: Man lebt nicht richtig und ist auch nicht richtig tot. „Schlafes Bruder“ wird ja auch nicht umsonst der Tod genannt in der Literatur, deren Hauptzweck bekanntermaßen darin liegt, simple Sachverhalte mithilfe überflüssiger Metaphern und Gedankenschnörkel zu verkomplizieren, um so mehr vorhandene Tiefe vorzutäuschen und mehr Seiten zu füllen als eine Staubsaugerbetriebsanleitung. Mit der kommt nämlich niemand in die Feuilletons.

Schlummer ist Margarine

Apropos: Kürzlich las ich, ich schriebe „noch besser als Tommy Jaud“. Demnächst heißt es vielleicht auch, ich wäre ein „noch besserer Mensch als Adolf Hitler“ oder zeigte auf dem Fußballplatz „eine noch athletischere Präsenz als Stephen Hawking“. Manche Komplimente sind trojanische Pferde in Zäpfchenform, die man sich aber ganz tief in den Arsch reinschieben kann, damit sie ihre verheerende Tiefenwirkung voll und ganz entfalten.

Die Tiefenwirkung meines Schlafs ist hingegen nicht sehr groß. Ich bin eher so ein Schlummerer. Das heißt, ich schlafe jede Nacht immer nur ein paar Minuten, den Rest der Zeit schlummere ich lediglich. Wie das Wort schon lautmalerisch ahnen lässt, ist der Schlummer die unseriöse Billigvariante des Schlafes. Schlaf ist Butter, Schlummer ist Margarine; Schlaf ist „Aus“, Schlummer ist „Stand-by“. Man schläft nicht richtig und ist auch nicht richtig wach. Der Schlummer ist „Schlafes trunksüchtiger Onkel dritten Grades, der sein Geld angeblich mit dem Diebstahl und Verkauf von Kupferleitungen entlang abgelegener Nebenstrecken der Deutschen Bahn AG verdient“, das schwarze Schaf der Familie.

Tischler und Dealer

Es ist überhaupt erstaunlich, über wie viele Verwandte, Bekannte, Freunde, Friends, Kollegen, Kumpels und Mitarbeiter der Schlaf verfügt. So viel Umtriebigkeit und Networking hätte man dem verschnarchten Gesellen gar nicht zugetraut. Da gibt es unter anderem noch „Schlafes Schwester“, das deutsche Fernsehprogramm. „Schlafes Großmutter“, der Mittagsschlaf. „Schlafes Sprayer-Kumpel“, der Power Nap. „Schlafes böser Nachbar“, das Wachkoma. „Schlafes Sportsfreund“, das Schlafwandeln. „Schlafes Tischler“, das Schnarchen. „Schlafes Dealer“, die Schlaftablette. „Schlafes Herold“, die Müdigkeit. „Schlafes Alleinunterhalter“, der Traum. „Schlafes Geliebte“, der feuchte Traum. „Schlafes Hausmeister“, der Alptraum. „Schlafes Beifahrer“, der Sekundenschlaf. Und nicht zuletzt, oder eben doch zuletzt „Schlafes Henker“, der klingelnde Reisewecker.

Aber nun noch kurz zu etwas weitaus Wichtigerem. Jahrelang hatte ich gedacht, es hieße: „Zwischen Berg und tiefem, tiefem Tal saßen eins, zwei Hasen“. Eins oder zwei? Ich war auf jeden Fall immer äußerst angetan von dem leichtfüßigen Schwebezustand dieser Liedzeile, die kühl kalkulierend auf die Genauigkeit der Mengenangabe zugunsten eines besonders Kinder faszinierenden Geheimnisses verzichtete.

Doch dann musste ich letztens erfahren, dass der Text in Wahrheit lautet: „Saßen einst zwei Hasen“. Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Wenn ich nicht gerade schlafe, murmle ich seitdem unentwegt vor mich hin: „Eins, zwei Hasen. Eins, zwei Hasen. Eins, zwei Hasen …“ Ich kann und will mich einfach nicht mit der doofen und langweiligen Zeile abfinden.

Deshalb hier nun meine Frage: Wo kann man beantragen, dass das geändert wird, damit für mich alles wieder wie früher ist?