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Archiv-Artikel

Dialog mit Verspätung

Die Polizei und die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde vereinbaren eine Kooperation – vier Monate später als geplant, weil es Irritationen über den Text gab. Die Gemeinde hofft, durch die Zusammenarbeit auch jene Pankower Bürger zu überzeugen, die in Heinersdorf gegen den Bau ihrer Moschee protestieren

Der Vertrag soll zeigen, dass sich die Gemeinde nicht abschottet

VON SEBASTIAN HEISER

Im Gemeindesaal der Moschee tobt ein Dutzend Kinder. Vorhin gab es etwas zu essen, davor Nachhilfe bei den Hausaufgaben – jetzt ist Getöse angesagt in dem mit Teppich ausgelegten Raum, der kaum größer ist als ein großes Wohnzimmer. Der Gemeindesaal der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde ist in einem Wohnhaus in Reinickendorf untergebracht, in einer unwirtlichen Gegend. 30 Meter weiter donnert der Verkehr der Autobahn 105 vorbei, übertönt nur noch von Flugzeugen: Die Start-und-Lande-Bahn des Flughafens Tegel ist gerade mal 500 Meter entfernt. In der Nachbarschaft der Moschee liegen ein Schuttabladeplatz, kleine Gewerbebetriebe wie eine Tischlerei und auch einzelne Häuser; die Straßen hier tragen Namen wie „Straße 462“.

Es überrascht nicht, dass die reformorientierte, gemäßigte Gemeinde gern dort wegziehen will. Doch die Pläne der Ahmadis, in Pankower Ortsteil Heinersdorf eine zweistöckige Moschee mit Minarett für ihre 200 Berliner Mitglieder zu errichten, haben für viel Wirbel gesorgt. Eine eigens gegründete Bürgerinitiative wehrt sich gegen den Bau, seit die Pläne bekannt wurden; Neonazis sprangen auf den Protest auf; eine Bürgerversammlung über den Bau musste wegen der aufgeladenen Stimmung und der unerwartet großen Teilnehmerzahl abgebrochen werden. Dennoch soll der Neubau im Sommer kommenden Jahres fertig sein.

Es überrascht angesichts dieser Situation auch nicht, dass die Gemeinde Verbündete sucht. So unterzeichneten am Montag im Rathaus Pankow der Leiter der zuständigen Polizeidirektion 1, Klaus Keese, und der Imam Abdul Basit Tariq einen Kooperationsvertrag, der eine offizielle Zusammenarbeit vorsieht. Es war ein langer Weg bis dorthin.

Der Vertrag hat nur drei Seiten und besteht hauptsächlich aus allgemeinen Phrasen. Ein typischer Satz lautet etwa: „Beide Seiten verpflichten sich zum aktiven, von Transparenz geprägten Dialog, um eine geordnete und störungsfreie Kommunikation zu gewährleisten.“ Konkrete Vereinbarungen gibt es nur wenige: Die Polizei kann in Zukunft Sprechstunden in den Räumen der Gemeinde abhalten, die Gemeinde wiederum informiert die Polizisten frühzeitig über Veranstaltungen.

Dennoch ist die Vereinbarung ein wichtiger Schritt. Denn hier geht es darum, den Dialog miteinander auszubauen – und was wäre dazu besser geeignet, als sich erst mal gegenseitig Wertschätzung und Kooperationsbereitschaft zu versichern?

Die Polizei will durch den Vertrag die Gemeindemitglieder erreichen und sich ihnen als Ansprechpartner vorstellen. Und Imam Abdul Basit Tariq will durch die Vereinbarung „den Polizisten eine ihnen fremde Kultur, einen fremden Glauben näherbringen“. Er lade die Beamten auch regelmäßig zu Veranstaltungen der Gemeinde ein und besuche sie auf dem Revier. Offenbar mit Erfolg: „Ich freue mich über die vielen Fragen der Polizisten“. so Tariq.

Eigentlich sollte die Vereinbarung bereits im Juli unterschrieben werden, doch der Termin wurde kurzfristig abgesagt. Die Ahmadiyya-Gemeinde hatte noch Änderungswünsche angemeldet, die die Polizei habe prüfen müssen. Die Moscheegegner sahen allein durch diese Vertagung ihre Vorurteile bestätigt: Die Gemeinde wolle sich um ein Bekenntnis zu Demokratie und Rechtsstaat drücken, so die Vermutung. „Wir befürchten, dass die Mitglieder der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde nicht auf dem Boden der Verfassung stehen“, hatte Joachim Swietlik, der Vorsitzende der Bürgerinitiative, immer wieder betont. Die Lehre der Gemeinde hält er „für frauenfeindlich und rassistisch“.

Der Imam stellt die Vertagung hingegen als völlig undramatisch dar. Die Polizei habe einen Text vorgeschlagen. Er habe sich allerdings gewünscht, dass die Gemeinde darin ausdrücklich als „Religionsgemeinschaft“ bezeichnet wird. Außerdem solle festgehalten werden, dass Mitglieder der Gemeinde noch nie strafrechtlich aufgefallen seien. Doch die Polizei habe erwidert, dies könne von ihr nicht überprüft werden. Jetzt blieb es also bei dem Text, in dem auch statt von einer Religionsgemeinschaft von der „Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde“ die Rede ist. „Wir hätten die Klarstellungen gut gefunden. Aber der jetzige Text ist kein Problem für uns“, sagt der Imam.

Auch als sichtbares Zeichen für die Moscheegegner ist die Vereinbarung für die Gemeinde wichtig. Die Muslime konnten zwar schon zuvor darauf verweisen, dass sie im Bericht des Verfassungsschutzes nicht erwähnt werden. Rückendeckung kam auch von Experten wie Dietrich Reetz vom Zentrum für Modernen Orient. Der bekundete, die Gemeinde habe sich bisher immer von Gewalt distanziert und lebe friedlich. Jetzt zeigt auch die Vereinbarung mit der Polizei, dass die Gemeinde sich keineswegs abschottet – die Kooperation soll den Moscheegegnern den Wind aus den Segeln nehmen. Gegen die Unterzeichnung demonstrierten am Montag vor dem Pankower Rathaus einige Anhänger der NPD.

Für Michael Krömer, den Leiter der Polizeidirektion 3, bedeutet eine solche Kooperation mit einer muslimischen Gemeinde, gegenseitig zu erfahren, „warum sich wer wie verhält“. Er ist für den Bezirk Mitte zuständig, im dortigen Stadtteil Wedding wurde bereits im Juli eine vergleichbare Vereinbarung mit der Yunus-Emre-Moschee getroffen. Seither gebe es eine „gute Zusammenarbeit“, lobt der Polizist. Der Tag der Unterzeichnung war zwar nicht der Wendepunkt gewesen – miteinander gesprochen hat man auch vorher schon, jetzt wurde das nur schriftlich festgehalten.

Lütfü Imamoglu, Religionsattaché des türkischen Konsulats, betont: Durch die Kooperation könne die Gemeinde die Beamten auch über religiöse Besonderheiten aufklären und die Polizisten im Umgang mit Migranten beraten. So gab der Vorstand der Moschee etwa einen Islam-Crashkurs für Beamte des Unterabschnitts 36.

Der nächste Schritt der Zusammenarbeit sollen Integrationskurse für Imame sein. Nach einem Plan des Berliner Integrationsbeauftragten Günter Piening werden die Vorbeter in 32 Wochen die Geschichte Berlins kennenlernen, das politische System Deutschlands, das Bildungssystem, Familie in Deutschland, Sozialsysteme und Altersvorsorge. „Die Imame kommen mit einer theologischen Ausbildung aus dem Ausland und werden dann hier mit Alltagsfragen konfrontiert. Davon fühlen sie sich oft überfordert“, sagt die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus. Während der Kurse sollen die Imame auch immer wieder mit Berlinern zusammenkommen. Zum Kursprogramm werden daher Besuche im Abgeordnetenhaus oder bei Beratungsstellen gehören.

Der Imam der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde allerdings hätte diesen Kurs wohl nicht mehr nötig. Er lebt seit 1982 in Berlin, seit zehn Jahren hat er einen deutschen Pass, und das Wohnzimmer bei ihm zu Hause ist so spießig eingerichtet wie bei vielen Heinersdorfern wohl auch: an der Wand ein Bild, das eine Bergidylle mit schneebedeckten Wipfeln und See zeigt. Die Kitschsammlung in der Vitrine wird dominiert von einem Porzellanteller, auf den in goldener Farbe das Weiße Haus in Washinton aufgemalt ist. Und im Bücherregal steht die Bibel – direkt neben dem Koran.