: Wie der moralische Bonus verloren geht
Sie lassen ihn nicht los, diese Menschen, die nach Deutschland kommen, ohne dass er, der Innenminister, es ihnen erlaubt hätte.
Erst vor zwei Wochen ging de Maizière die Kirchen an, weil diese dreist Menschen in Not ein Kirchenasyl gewähren, obwohl sein Ministerium ihnen bereits den Abschiebebescheid zugeschickt hat. In der Mehrheit wird den Betroffenen nach der Intervention der Kirchen der Aufenthalt in Deutschland übrigens gewährt. Das zum Thema Rechtsstaat und Willkür. Die Kirchen verteidigten das Kirchenasyl und waren über den Vorstoß des ehemaligen Verteidigungsministers nicht amüsiert. Doch ihr Unmut hemmt de Maizières Tatendrang nicht. Gemeinsam mit seinem italienischen Kollegen hat er diese Woche nun die uralte Idee vom Auffanglager auf afrikanischem Boden aufgewärmt. Merke: Der Leiter vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, hat unlängst festgestellt, dass es kaum etwas Schlimmeres für Vertriebene gibt, als in Italien einen Asylantrag stellen zu müssen. Sie bekommen dort keinerlei Hilfe und haben schlicht keine Existenzmöglichkeit. De Maizière aber fühlt sich wohl beim italienischen Nachbarn. Und will gemeinsam mit ihm dafür sorgen, dass die Menschen interniert werden, bevor sie europäisches Festland betreten oder im Mittelmeer ertrinken. Denn, so der Minister: „Zum einen können wir hier ganz klar unterscheiden zwischen jenen, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Zum anderen können wir dadurch den Schleppern den Nährboden entziehen für ihre Geschäftemacherei.“ Na klar.
Irgendwie verwundert es schon, dass de Maizière sich so unbedingt über nicht nachlassende Menschenverachtung profilieren will.
Passend unpassend dazu haben internationale Hilfsorganisationen diese Woche die UN und die reichen Geberländer vorgeführt. Unfassbar ist für sie, dass sich 14 Millionen syrische Kinder auf der Flucht befinden und nicht einmal mit dem Notwendigsten versorgt werden. Und zwar auch, weil die reichen Länder bereits zugesagte Gelder einfach nicht anweisen.
Selbst das syrien- und flüchtlingsträge ZDF-„heute“ wählte den Aufruf der Hilfsorganisationen als erste Meldung aus und merkte an, dass man diesen Kindern nun wirklich keine Schuld am Krieg in ihrer Heimat anlasten könne. Ob de Maizière plant, diese Kinder demnächst vorsorglich in Syrien internieren zu lassen, damit sie wieder in der Unsichtbarkeit verschwinden und die reiche Welt nicht länger behelligen? Im Diktator al-Assad könnte er einen Partner für dieses Projekt finden. Nein, der Zynismus geht nicht von der Autorin aus, sondern von der hohen Politik.
Das Kalkül ist ja klar: Auffanglager in Libyen müssen keine rechtsstaatlichen Standards einhalten. Deutschland muss das schon.
Denn bislang ist das Ansuchen um Asyl kein Verbrechen, sondern ein Grundrecht. Und dieses zu gewähren kostet Geld. Geld, das der Innenminister und seine Anhängerschaft lieber für flugunfähige Drohnen ausgegeben sähen. Oder für andere Rüstungsprojekte. Nur eben nicht für Menschen.
Glücklicherweise ist der Kollege von der SPD kein Freund von de Maizière und hat bereits Bedenken geäußert. Ob das Innenministerium mit seinem Vorschlag durchkommt, ist also fraglich.
Aber da die Union schon länger nicht mehr weiß, was sie noch machen soll in der verbleibenden Amtszeit, scheint das Flüchtlingsthema offenbar ein angenehmer Zeitvertreib. Denn mit Themen wie Rente und Pflege wollen die Politiker sich nicht beschäftigen. Dann kloppt man lieber auf den Schwächsten rum und geriert den Eindruck, die wollten „uns“ ans letzte Hemd. Die Kriminalisierung von Armen ist unter Konservativen ein beliebtes Hobby.
Gleichzeitig haben die Union und die Grünen in Baden-Württemberg verhindert, dass Steuern von vermögenden Firmenbesitzern zukünftig die Kassen füllen. Den Luxus der Reichen will man sich auf Kosten der Steuern Zahlenden weiter leisten.
Bisher sind Firmenerben von Erbschaftsteuern befreit, sofern sie die Firma weiterführen und Arbeitsplätze erhalten. Im Koalitionsvertrag steht, dass diese Regelung reformiert gehöre. Weshalb die SPD einen Vorschlag vorgelegt hat.
Machten sich die Grünen aber in Gerechtigkeits- und in Menschenrechtsfragen CDU-fit, könnte ihnen das ziemlich schaden. Denn wer wählt die Grünen, wenn das keine moralischen Pluspunkte mehr bringt? Da kann man gleich zur SPD wechseln. Just diesen moralischen Bonus schrumpfen Ministerpräsident Kretschmann und Fraktionschefin Göring-Eckardt konsequent.
INES KAPPERT