: Armut frisst Chancen
BILDUNG Studie zeigt Benachteiligung armer Kinder schon vor der Einschulung
BERLIN taz | Kinder, die in Armut aufwachsen, leiden unter Nachteilen, die sie ein Leben lang prägen und ihre beruflichen und schulischen Erfolgschancen erheblich einschränken. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie, die Forscher der Universität Bochum und die Stadt Mülheim an der Ruhr im Auftrag der Bertelsmann Stiftung durchgeführt haben.
Für die Studie wurden die Daten von knapp 5.000 sogenannten Schuleingangsuntersuchungen in Mülheim an der Ruhr aus den Jahren 2010 bis 2013 ausgewertet. In Mülheim bezieht mehr als jedes vierte Kind unter sechs Jahren SGB-II-Leistungen.
Rückstand beim Zählen und Sprechen
Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Kinderarmut ein nachweisbares Risiko für die Entwicklung von Heranwachsenden ist. Kinder aus SGB-II-Familien haben schon bei der Einschulung öfter Konzentrationsschwierigkeiten und eine schlechtere Körperkoordination. Auch sprechen sie schlechter Deutsch und können nicht so gut zählen wie Kinder, die keine Leistungen nach dem SGB-II beziehen. Schon vor der Einschulung sind arme Kinder gegenüber ihren KlassenkameradInnen damit im Nachteil.
Defizite, die sich in frühen Entwicklungsphasen, also noch vor der Vollendung des 3. Lebensjahrs, entwickelt haben, lassen sich später nur noch mit erheblichem Aufwand nachholen.
Helfen kann hier ein früher Kita-Besuch und die Mitgliedschaft in einem Sportverein, so die Studie. In der Kita können sozial benachteiligte Kinder Bindungen zu anderen Kindern und den ErzieherInnen aufbauen und durch die pädagogischen Angebote gezielt in ihrer Entwicklung gefördert werden. Sport stärkt die Koordinationsfähigkeiten der Kinder und wirkt sich positiv auf die Entwicklung aus.
Von Kindern aus SGB-II-Familien wird ein Kita-Platz jedoch seltener in Anspruch genommen. Nur knapp ein Drittel der unter Dreijährigen aus armen Familien besuchen eine Tagesstätte, während es in nichtarmen Familien fast die Hälfte sind. Und auch im Sportverein sind arme Kinder seltener anzutreffen.
NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) ist überzeugt, dass sich durch gezielte Anreize für einen frühen Kita-Besuch und die Mitgliedschaft im Sportverein die Chancen armer Kinder verbessern lassen. „Der Zusammenhang von sozialer Herkunft und einer guten Zukunft lässt sich am besten durchbrechen, wenn wir früh ansetzen und unsere Angebote gezielt an Kinder richten, die besonders von ihnen profitieren“, sagte sie der taz. Die Studie zeige, welche Maßnahmen sinnvoll seien und wo noch nachgebessert werden müsse. Kraft möchte Kitas in sozialen Brennpunkten mit mehr Geld, mehr Personal und spezifischen Förderangeboten unterstützen. IMRE BALZER