Der Feind in deinem Auge

SICHT Manche Menschen sehen ständig Muster durch ihr Blickfeld huschen. Wie kommt das und was macht man da?

■ Das Phänomen: Der sogenannte Glaskörper im Auge sitzt zwischen Linse und Netzhaut, macht den Großteil des Auges aus und besteht fast komplett aus Wasser. Im Laufe des Lebens schrumpft der Glaskörper. Er trennt sich dadurch von der Netzhaut und schwingt bei jeder Augenbewegung. Die Eintrübungen in der Flüssigkeit – kurz „Mouches volantes“, also fliegende Mücken – kann man als Muster im Blickfeld sehen.

■ Die Kunst: Der Graveur und Kunstlehrer Erich Hörmann malt Porträts in Pastell, Fernsehbilder in Öl – und die „Mouches Volantes“, die auf www.hoermann-kunst.at zu sehen sind.

VON PHILIPP BRANDSTÄDTER

Da sind diese glasigen Fusseln. Diese durchsichtigen Flusen, diese schimmernden Fäden, diese Flocken. Überall. Vor allem, wenn man ins Licht blinzelt. Kennen Sie nicht?

Dann legen Sie doch mal Ihre sonntaz beiseite und schauen Sie zur Zimmerdecke. Sehen Sie diese Schlieren, die jeder Augenbewegung folgen und dann gemächlich aus dem Sichtfeld schwimmen? Die sich nie genau betrachten lassen, weil sie scheu sind und immer schneller als ein Augenblick?

Das ist kein Dreck auf der Linse, den Sie wegzwinkern können. Die Dinger sind keine Einbildung. Man nennt sie „Floaters“ oder „Mouches volantes“, fliegende Mücken, die sich direkt in Ihren Augäpfeln eingenistet haben. Man kann sie sehen, wenn das glasklare Gel im Auge, das man als Glaskörper bezeichnet, beginnt, sich von der Netzhaut zu lösen und einzutrüben. Eigentlich eine gewöhnliche Alterserscheinung.

Eigentlich. Es gibt Leute, die sich von dem Phänomen dermaßen beeinträchtigt fühlen, dass sie nicht mehr lesen oder Auto fahren können. Die sich deshalb in dunklen Räumen abschotten. Weil die Mücken in Schwärmen durchs Auge wimmeln.

Manche legen sich sogar unters Messer. Bei einer Vitrektomie wird der Glaskörper aus dem Auge abgesaugt. Und mit ihm die Trübungen, die je nach Lichteinfall unterschiedlich stark als „Mouches volantes“ wahrgenommen werden. Anschließend wird der trocken gelegte Augapfel mit einer Kochsalzlösung aufgefüllt. Der Eingriff kann die Sehschärfe verschlechtern, wenn Löcher in die Netzhaut gerissen werden. Oft ist eine zweite Operation nötig, weil sich ein grauer Star ausbildet. Die Vitrektomie ist nur für Härtefälle reserviert.

Wenn Erich Hörmann morgens aufwacht, schwabbelt eine Blase an der Decke. Bei den ersten Augenbewegungen zerteilt sie sich wie heißes Wachs in einer Lavalampe. „Es ist eine Art Sonnensystem, das ich sehe“, sagt Hörmann. „Ein amorphes Spiel. Schaue ich ins Licht, erkenne ich Querschnitte von Zellen und Blasen.“ In der Nacht vereinen sich die Einzelteile wieder.

Erich Hörmann, 57 Jahre, ist gelernter Schmuckdesigner aus dem österreichischen Steyr. Eine OP kommt für ihn nicht infrage. So lästig sind ihm die Mücken nun auch wieder nicht, die seit einer Sehnerventzündung vermehrt durch seine Augen schwärmen. Hörmann kann sehen. Hörmann kann arbeiten. Nur das Lesen fällt schwer. Die Ärzte haben bei ihm an manchen Stellen erkannt, dass das Gel im Auge getrübt ist. „Sie haben gesagt, ich muss damit leben.“ Das Gehirn würde die Mücken schon wieder vergessen. So wie den blinden Fleck, den der Sehnerv zwar verursacht, der vom Gehirn aber ignoriert wird.

Augenärzte sehen selten einen Grund, Glaskörpertrübungen zu behandeln. „Das ist keine Krankheit, sondern eine normale Degeneration“, sagt Frank Koch, Spezialist für Glaskörper- und Netzhautchirurgie an der Uniklinik in Frankfurt am Main. „Alle Menschen erfahren früher oder später eine Glaskörperablösung und die meisten nehmen diese Trübungen auch wahr.“

Nur in einem Viertel der Fälle kann Koch die Mücken von außen erkennen. Meist muss der Mediziner jedoch auf die Selbstdiagnose seiner Patienten vertrauen. Er muss im Gespräch herausfinden, ob die von den Mücken Verfolgten gewissermaßen begründet leiden oder ob sie sich das Phänomen nur schlimmreden.

Der Künstler Erich Hörmann hat sich schließlich selbst therapiert. Er malt die Mücken weg. „Ich blinzle kurz, schaue auf das Papier und versuche die Umrisspunkte zu zeichnen“, sagt Hörmann. Dann strichelt und punktet er und dreht dabei das Blatt im Kreis, um aus allen Winkeln mit seiner Technik anzusetzen. Sekunden später liegt die Grundform der Zeichnung vor ihm. Sein Modell ist längst fort.

Falls auch Sie gerade Fusseln und Fäden sehen sollten, machen Sie sich keine Sorgen. Die vergisst man wieder, sagen Fachärzte. Wenn sich das Gel im Auge vollständig von der Netzhaut löst, können die Trübungen sogar ganz verschwinden. Bis dahin können Sie sich von den Mücken ablenken, indem Sie Kontraste anschauen. Schwarz auf Weiß, farbige Motive. Sie dürfen natürlich auch ein Bild malen, wenn Sie mögen.