: „Oft fehlt das Opferbewusstsein“
Die Kripo kritisiert die geplante Streichung der Zuschüsse für die Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel. Von etwa 700 Bremer Prostituierten arbeiten viele unter Zwang
Wilhelm Weber leitet die Abteilung K4 der Kripo Bremen, zuständig für Organisierte Kriminalität und Rauschgift. Gregor Weißner ist Kriminalhauptkommissar beim K44, zuständig für Menschenhandel.
Interview: Christian Jakob
Warum sollte der Senat die Finanzierung der Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel (BBMeZ) nicht streichen?
Wilhelm Weber: Wenn wir Frauen befreien, die Opfer von Menschenhandel wurden, dann brauchen diese psychologische und praktische Betreuung. Das können wir schon deshalb nicht leisten, weil sich dies mit unserem Ermittlungsauftrag nicht vereinbaren lässt. Ohne BBMeZ wären diese Frauen völlig sich selbst überlassen.
Sollte BBMeZ nicht durch Gewinnabschöpfung bei überführten Menschenhändlern finanziert werden?
Weber: So ist es vorgesehen, in Bremen ist es aber bisher noch nie dazu gekommen. Eine Gewinnabschöpfung ist nur möglich, wenn wir nachweisen, dass beschlagnahmtes Geld aus Straftaten stammt. Bei Zwangsprostitution ist das extrem schwierig. Würde das Gesetz eine Beweislastumkehr erlauben, wie beispielsweise im Steuerrecht, wäre das anders. Dann müssten nämlich die Zuhälter den Beweis erbringen, dass sie legal an das Geld gekommen sind.
Wie stark ist Zwangsprostitution in Bremen verbreitet?
Gregor Weißner: Es gibt in Bremen schätzungsweise 700 Prostituierte, die meisten von ihnen Ausländerinnen. Diese Zahl ist seit Jahren weitgehend konstant. Wir treffen zunehmend Frauen aus Bulgarien und Rumänien an, und unter diesen besonders Sinti und Roma. Dabei ist von einem hohen Dunkelfeld an Zwangsprostitution auszugehen. Etwa zwei Drittel ihrer Einnahmen müssen viele Frauen für die Begleichung fingierter Schulden wie „Reisekosten“ oder Miete abgeben. Da bleibt oft kaum etwas über. Hinter fast jeder Frau steht ein Zuhälter, der die Hand aufhält und dabei häufig irgendeine Form von Zwang ausübt.
Wie muss man sich das vorstellen?
Weber: Dabei gibt es jede Facette, von der Drogenabhängigen, die von ihrem Dealer anschaffen geschickt wird bis zum internationalen Menschenhändlerring. Manchmal werden die Frauen mit körperlicher Gewalt zur Prostitution gezwungen, oft kommen die Zuhälter aber auch ohne diesen aus. Der wirtschaftliche Zwang, dem beispielsweise eine junge Sinti aus Rumänien, die nicht lesen und schreiben kann, unterliegt, ist oft viel schlimmer. Das ist ein großes Problem für unsere Ermittlungen.
Warum?
Weber: Die juristische Definition von „Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“ erfordert Tatbestände, die sich eigentlich nur durch Aussage der Opfer belegen lassen. Und diese sind oft extrem schwierig zu bekommen. Viele Frauen haben Angst vor den Tätern. Andere haben in ihrer Heimat schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Zudem fehlt vielen Frauen jedes Opferbewusstsein. Das ist häufig bei Sinti-Frauen der Fall. Sie wurden oft schon seit ihrer Kindheit misshandelt und finden deshalb die Umstände ihrer Ausbeutung völlig normal. Da werden wir kaum als „Befreier“ empfangen, wenn wir in ihren Bordellwohnungen vor der Tür stehen.
Würde sich dies verbessern, wenn den Frauen nicht nach ihrer Aussage die Abschiebung drohen würde?
Weber: Das ist fraglich. Frauen aus EU-Mitgliedsstaaten schieben wir sowieso nicht ab. Die anderen wollen oft gar nicht in Deutschland bleiben, sondern zu ihrer Familie zurück. Zudem würden die Anwälte sofort die Glaubwürdigkeit von Aussagen in Zweifel ziehen und behaupten, die Frauen würden nur deswegen aussagen, um ein Aufenthaltsrecht zu erlangen.
Besteht ein Zusammenhang zwischen der Herkunft der Frauen und der EU-Erweiterung?
Weber: Nicht unbedingt. Obwohl Frauen aus diesen Ländern legal einreisen dürfen, werden sie oft trotzdem mit falschem Pass hierher gebracht, um unsere Nachforschungen zu erschweren. Wir führen dies eher auf die besonders schlechte wirtschaftliche Lage in diesen Ländern zurück.