: Abgefälschter Zwanziger
Er traut es sich zu. Wolfgang Niersbach, 61, soll im nächsten Jahr auf einem außerordentlichen Bundestag des Deutschen Fußballbundes zum neuen Präsidenten des Riesenverbandes, dem 6,7 Millionen Mitglieder angehören, gewählt werden.
Nachdem Theo Zwanziger angekündigt hatte, nur noch zehn Monate regieren zu wollen, war es vor allem Franz Beckenbauer, der sich für Niersbach als DFB-Chef starkmachte. Dem ist er 1990 ganz nah gekommen. Als Beckenbauer in Italien die deutsche Auswahl zum WM-Titel coachte, war Niersbach Pressechef des Verbands. Bevor er von 1988 vom DFB angeheuert wurde, begleitete er die Nationalmannschaft als Agenturjournalist für den Sportinformationsdienst. Als Pressechef des DFB war es Niersbachs Anliegen, die Kollegen nicht allzu nah an die Nationalmannschaft heranzulassen. Sein Konzept hieß: „Kontrollierte Medienoffensive mit Basisinformationen“. Er kam gut an, und wenn er sich einmal Aussetzer leistete, wurde schnell darüber hinweggegangen. Nachdem ein Spiel der Deutschen gegen England, das am 20. April 1994 angesetzt war, wegen befürchteter Nazischlägereien zu Führers Geburtstag abgesagt werden musste, meinte Niersbach, das Thema sei deshalb so groß geworden, „weil 80 Prozent der amerikanischen Presse in jüdischer Hand“ seien. Niersbachs Karriere tat das keinen Abbruch.
Wieder sehr nah an Beckenbauer war er, als er 2001 als Vize ins Organisationskomitee der Fußball-WM berufen wurde. Unter dem OK-Chef organisierte er die Pressearbeit. Weil er das so gut gemacht hat, erhielt er später dafür das Bundesverdienstkreuz. Nach der WM war er im DFB zunächst als Direktor für das Management der Auswahlteams verantwortlich, bevor er im Oktober 2007 gut bezahlter Generalsekretär – von einen hohen sechsstelligen Gehalt ist die Rede – des Verbandes wurde.
Jetzt wird er Präsident und es ist nicht zu erwarten, dass er wie Zwanziger das Hauptaugenmerk auf Integration und Frauenfußball richtet. Niersbachs Steckenpferd ist die Nationalmannschaft der Männer, die sich jüngst immer mehr vom Verband emanzipiert hat. Er wird sie unter seine Fittiche nehmen wollen. ANDREAS RÜTTENAUER