: Atomstreit in großer Kieler Koalition
Das AKW Brunsbüttel soll schnell wieder hochgefahren werden, fordert CDU-Wirtschaftsminister Austermann. Die zuständige Ministerin Trauernicht (SPD) hat keine Eile. Vattenfall will Betriebsdauer über Bundestagswahl retten
Dietrich Austermann hat bisweilen eine sehr eigene Interpretation von technischer Funktionstüchtigkeit. Es könne nicht angehen, philosophierte der CDU-Wirtschaftsminister von Schleswig-Holstein gestern auf stern.de, „dass funktionierende Kernkraftwerke abgeschaltet werden“. Austermann meinte den Pannenreaktor Brunsbüttel, der seit dem 28. Juni nach einem Kurzschluss stillgelegt ist. Er gehe davon aus, sagte Austermann, „dass die Betriebserlaubnis für Brunsbüttel in den kommenden Wochen erteilt wird“.
Bei seiner Kabinettskollegin Gitta Trauernicht kann er nicht auf Unterstützung zählen. Die für Atomaufsicht zuständige SPD-Sozialministerin erklärte auf Anfrage kühl, erst wenn „die Voraussetzungen für einen sicheren Betrieb gegeben sind“, könnten Brunsbüttel und auch der Atommeiler Krümmel wieder an Netz gehen. Der Reaktor bei Geesthacht steht wegen eines ausgebrannten Transformators ebenfalls seit Ende Juni still.
Trauernicht wies darauf hin, dass Betreiber Vattenfall vermutlich erst im Februar oder März kommenden Jahres Anträge auf eine Wiederinbetriebnahme der beiden AKW vorlegen werde. Dann werde ihr Ministerium eine Entscheidung treffen, bei der „Sicherheit vor wirtschaftlichen Interessen gehen“ werde.
Den Zeitplan bestätigte Vattenfall-Sprecher Ivo Banek gegenüber der taz. Die Reparaturarbeiten würden in Brunsbüttel am 24. Februar und am 1. März in Krümmel abgeschlossen sein: „Dann melden wir die Anfahrbereitschaft und erwarten die Zustimmung der Behörde.“ Der rund achtmonatige Stillstand werde die Betriebsdauer beider AKW verlängern, stellte Banek klar. Der laut Atomkonsens für Mai 2009 zur Stilllegung vorgesehene Meiler Brunsbüttel werde somit die Bundestagswahlen im Herbst 2009 überstehen. Und bei einer CDU-FDP-Bundesregierung vor einer weiteren strahlenden Zukunft stehen. Krümmel soll 2016 vom Netz gehen.
Austermanns Behauptung, Brunsbüttel sei funktionstüchtig, hört Banek „gern“. Sie decke sich „mit dem gesammelten Sachverstand“ einer vom Konzern eingesetzten Expertenkommission. Diese hatte vor einem Monat erklärt, beide Reaktoren könnten „unmittelbar wieder in Betrieb genommen“ werden.
Trauernicht hatte für die ausschließlich mit atomfreundlichen Sachverständigen besetzten fünfköpfigen Kommission kein freundliches Wort übrig: „Es fällt einem schwer, das ernst zu nehmen.“ SVEN-MICHAEL VEIT