: Weh‘ dem, der schenkt!
MIMOSEN Obwohl wir immer so reif und weise tun, reagieren wir unglaublich empfindlich, wenn man uns das Falsche kredenzt
VON PETRA SCHELLEN
Eigentlich, denkt man, sollte Schenken gar nicht so schwer sein. Man beobachtet den anderen ein bisschen, schaut, welche Farben, welche Musik, welche Vasen, welche Bücher er mag – oder ob überhaupt. Und schon ist sie geritzt, die Geschenke- bzw. Beziehungs-Kiste.
Klingt ganz einfach. Das Irritierende nur: Es funktioniert nicht. Denn entweder schaut und hört man nicht richtig hin. Oder man hat keine Lust zu hören und zu schauen. Oder aber es kommt einem der eigene Geschmack in die Quere. Das kann einem auch dann passieren, wenn man nicht zum Typus des selbstverliebten Schenkers zählt: Der kitschige Kerzenständer, das seichte Wellness-Buch, das rosa Engelchen: Soll ich das wirklich schenken, fragt man sich. Soll ich kostbare Euro dafür ausgeben – selbst wenn es dem anderen gefällt?
Kann ich das mir, besser: meiner Selbstachtung antun, so geschmack- und geistloses Zeugs zu verbreiten? Was soll ich dereinst meinen Enkeln erzählen, wenn sie hören, dass ich solch geschmacksverirrte Freunde hatte? Am Ende glauben sie noch, die Geschmacksverirrung sei in Wahrheit meine eigene gewesen.
Und überhaupt: Will ich eigentlich solche Freunde haben? Die ansonsten loyal, warmherzig, einfühlsam, aber doch so Kitsch-versessen sind? Die mich in solche Gewissensnöte stürzen, mich zur neuen Definition meiner selbst zwingen? Man grübelt und sieht sich schon vor einem Tribunal aus Bekannten, Kindern und Kindeskindern, die einen für diese vom intellektuellen Anspruch der Sippe abweichende Tat haftbar machen.
Aber es gibt ja nicht nur diesen Fall: dass ich mich zu intellektuell fühle, um Kitsch zu schenken. Es gibt auch Freunde, die sind zu schlau für mich. Die mögen zum Beispiel Haikus aus der zweiten Hälfte des siebzehneinhalbten Jahrhunderts, und ich kenne mich damit nicht aus. Wage nach keinem der bibliophilen Bändchen zu greifen aus Angst, es könne eine veraltete Ausgabe, eine linkische Übersetzung oder ein längst als Fälschung enttarnter Text sein.
Ein übers andere Mal ertappe ich mich da bei dem Gedanken, er oder sie solle nicht so pingelig sein und immerhin mein Bemühen anerkennen, falls ich allzu schlimm daneben liege. So mache ich‘s doch schließlich auch, oder? Nun ja, wenn mir jemand die 1964er- anstelle der 1963er-Aufnahme des berühmten Pianisten schenkt, werde ich ungehalten. Hätte der andere nicht genau hinschauen können? Mein CD-Regal heimlich filzen, um zu sehen, welche Jahrgänge ich bevorzuge?
Es ist schon bizarr, wie marginal einem in solchen Fällen die eigene Sturheit scheint. Wie gern man sie „hoch subtile Eigenart“ nennt und nicht Verstocktheit. Warum ist man so empfindlich? Es geht doch nur um einen Gegenstand – und das letzte Hemd hat sowieso keine Taschen!
Naja, aber man lebt eben im Hier und Jetzt. Und da möchte man gefälligst Jahr für Jahr anhand des Weihnachtsgeschenks bestätigt bekommen, wie seelenverwandt man doch ist. Ein ganzes Jahr voller Wohltaten des anderen gilt plötzlich nichts angesichts eines einzigen misslungenen Geschenks. Das Geschenk – das ist quasi die materialisierte Essenz aus etlichen Freundschafts- oder Beziehungsjahren, und die muss einfach stimmen, sonst setzt es was!
Angesichts all dieses Elends kann man sich schon fragen, was wichtiger ist: die Überraschung oder die Zielgenauigkeit des Geschenks; will sagen: Warum nicht einfach fragen, was derjenige haben will, dem man während der letzten zehn Jahre stets das Falsche schenkte? Eine solche Frage ist ja kein Beweis mangelnder Zuneigung oder Einfühlung, im Gegenteil: Sie ist ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns, einerseits. Andererseits der echte Versuch, dem anderen Gutes zu tun: Ihm zu geben, was er sich wünscht. Oder sollte das etwa nicht das Beste für ihn sein?