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Archiv-Artikel

Klassenkampf von oben

MEILE Das Müllerstraßenfest – von jeher Jahrmarkt der alteingesessenen Weddinger – soll verboten werden. Unser taz-Autor und Wahlweddinger ist dagegen. Acht Rummel-Reflexionen

Das Müllerstraßenfest

■ findet seit 25 Jahren etwa dreimal jährlich auf einem 600 Meter langen Abschnitt zwischen den U-Bahnhöfen Leopoldplatz und Seestraße statt. Es stand zuletzt wegen seiner Qualität bei Lokalpolitikern, Stadtteilinitiativen und Gewerbetreibenden in der Kritik.

■ Im Februar beantragte Bezirksstadtrat Carsten Spallek (CDU) beim Bezirksamt, die Müllerstraße in den sogenannten Positiv-/Negativkatalog für besonders geschützte Orte in Berlins Mitte aufzunehmen. So könnten dort nur noch Veranstaltungen von öffentlichem Interesse stattfinden. Die zuständige Fachabteilung überprüft den Antrag derzeit. (wer)

VON HEIKO WERNING

Das traditionsreiche Müllerstraßenfest im Berliner Wedding soll verboten werden. Einen entsprechenden Antrag hat Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) im Februar beim Bezirksamt Mitte eingebracht (siehe Kasten). Etwa dreimal jährlich fand das Fest bislang statt, dafür wurde die Müllerstraße zwischen Leopoldplatz und U-Bahnhof Seestraße an einem Wochenende für den Autoverkehr vollständig gesperrt. Auf den Fahrbahnen wurden dann Stände mit allem aufgebaut, was das durch Alkoholkonsum und ungesunde Ernährung verfettete Herz eben so begehrt: Billigtextilien, Billigkrempel, Billigmusik, Billigbier, dazwischen billige Kinderbespaßung. Eine Orgie des schlechten Geschmacks also, eine Gelegenheit für alle, die sonst das Unterschichtenfernsehen gucken, mal vor die Tür zu gehen, um Gleichgesinnte zu treffen. Man könnte sagen: ein Fest für Weddinger.

1. Das Kiezblatt Berliner Woche schreibt, „die zur Billigmeile verkommenen Straßenparty“ solle verboten werden, und weiter: „Ein Kriterium ist, dass die Veranstaltungen im öffentlichen Interesse sein müssen. Dies ist aber beim Müllerstraßenfest schon lange nicht mehr der Fall.“ Die B.Z. grübelt: „Kiezfeste sollen Spaß machen, die Anwohner einbeziehen und den Bezirk am besten noch berlinweit in ein gutes Licht rücken. Beides scheint beim Müllerstraßenfest nicht mehr gegeben.“ Nicht mehr im öffentlichen Interesse? Zur Billigmeile verkommen? Rückt den Bezirk nicht mehr in ein gutes Licht? Ich kenne das Müllerstraßenfest seit 1991, seit ich vor seinen Toren wohne. Viele jammern ja, dass alles immer schlechter werde in der Welt, das Fernsehen und die Tomaten, und die Platten dieser einen Band waren früher auch noch richtig gut – fuck it. Ich aber kann versichern: Das garantiert Einzige, was wirklich seit Jahrzehnten keinen Millimeter schlechter geworden ist, weil es immer schon genauso furchtbar war, wie es nun einmal ist, ist das Müllerstraßenfest. Jahrzehntelang hat das niemanden gestört. Erst jetzt wird es plötzlich zum Problem. Und wenn die Problemanalyse bereits mit einer solchen Lüge beginnt, indem sie nämlich den Eindruck vermittelt, hier gehe etwas vor die Hunde, das in Wirklichkeit schon immer dort lag, dann ist höchstes Misstrauen angebracht. Nicht das Fest nämlich hat sich so verändert, dass es nicht mehr zum öffentlichen Interesse passt, sondern das öffentliche Interesse hat sich so verändert, dass das Fest nicht mehr dazu passt. So läuft er eben, der Klassenkampf von oben. Jetzt, wo das hier nicht mehr Getto ist, sondern beste Innenstadtlage, soll das prekäre Weddinger Menschenmaterial bitte mal fix aus dem Bild treten. Seine Bratwurst-, Bier- und Restposten-aus-Paris-für-3-Euro-Stände kann es doch bitte schön auch irgendwo in Marzahn oder Spandau aufstellen, da stört es wenigstens keinen.

2. „Wir können auf die Ausgestaltung und Qualität der Straßenfeste keinen Einfluss nehmen. Wir wollen auch gar nicht im Sinne einer Geschmackspolizei oder einer Zensur tätig werden“, sagt Carsten Spallek von der CDU. Weshalb er als für das Ordnungsamt Mitte zuständiger Bezirksstadtrat das Fest nun de facto verbieten will. Ziel sei es, „die Müllerstraße attraktiver zu machen. Diesem klar formulierten öffentlichen Interesse dienen die Straßenfeste nicht, sie stehen ihm sogar entgegen.“ Und noch einmal, weil es so schön war, das Zitat zuvor: „Wir wollen nicht im Sinne einer Geschmackspolizei oder einer Zensur tätig werden.“ Eine bezaubernde Logik: Weil wir nicht im Sinne einer Geschmackspolizei oder einer Zensur tätig werden wollen, verbieten wir das Fest einfach, weil es so geschmacklos ist. Das wäre noch dem besoffensten Müllerstraßenfestbesucher nachts um zwölf zu peinlich, derart dummdreisten Quatsch vor sich hin zu lallen.

3. Die ehemalige Veranstalterin Monika Nareyka verteidigt das bisherige Erscheinungsbild des Festes mit einer nüchternen Lageeinschätzung: „Da kann man kein Niveau reinbringen, gehobenes Kunsthandwerk und eine Gourmetmeile funktionieren in der Müllerstraße nicht.“ Zumindest bislang nicht. Stadtrat Spallek betont nun andererseits: „Die Stadtteilfeste Fête de la Musique, Fastenbrechen, Weihnachtsbasar auf dem Leopoldplatz sind nicht betroffen und sollen selbstverständlich weiter stattfinden.“ Selbstverständlich. Und sicher hätte auch das Müllerstraßenfest wieder eine Chance, wenn dort statt Separatorenfleischresten, mit Alkohol versetzten Industrieabwässern und von Säuglingen aus Bangladesch zusammengespeichelten Synthetik-Tangas demnächst endlich handgeschrotete Bio-Wachtelwürste, vegane Litschi-Milchshakes und von erleuchteten Schamaninnen bei Vollmond aus Yak-Haarspitzen gehäkelte Regenbogenschals angeboten würden. Denn zumindest eines wäre all das dann ganz bestimmt nicht: billig. Und schon könnten wir wieder drüber reden, wetten?

4. Andererseits: Da Carsten Spallek ja bei der CDU ist, könnte man womöglich darauf spekulieren, dass seine Ansichten dort auf Dauer allgemein gesellschaftsfähig werden. Denn laut B.Z. ist es so: „Anwohner und Geschäftsleute würden die Vermüllung und Probleme mit dem Lieferverkehr beklagen, sagte Spallek weiter. Auch der öffentliche sowie große Alkoholkonsum dürfte bei den Überlegungen eine Rolle spielen.“ Und seien wir ehrlich: Feste, die zu großem öffentlichen Alkoholkonsum, Vermüllung und Problemen mit dem Lieferverkehr führen, die gehören einfach nicht zu Deutschland! Nimm dies, Kölner Karneval! Pack schon mal ein, Münchener Oktoberfest!

5. Kurz zuvor hatte irgendein anderer CDU-Hansel das Verbot des nächtlichen Verkaufs von Alkohol an Spätkaufs und Tankstellen in Berlin vorgeschlagen, während die Grünen zeitgleich weitreichende Regulierungen der Hundehaltung fordern sowie verbesserte Lärmschutzvorschriften, mit denen sie noch mehr Clubbetreiber zum Aufgeben zwingen und junge Menschen von den Straßen und Brücken der Stadt vertreiben können. Von all den Vorschlägen zu fleischfreier Ernährung, Krankenkassenzuschlägen für renitente Übergewichtige und Rauchverbote für alle bis hin zum heimischen Teekessel mal ganz zu schweigen.

Nicht das Fest hat sich verändert, sondern das öffentliche Interesse, sodass das Fest nicht mehr dazu passt

6. In der ganzen Debatte wurde noch nirgends die Frage gestellt, warum eigentlich so viele Leute so dermaßen scharf darauf sind, allerbilligsten Plunder zu kaufen und Dreck in sich hineinzustopfen, so viele Leute jedenfalls, dass es sich für die Anbieter offenbar mehr lohnt, allerbilligsten Plunder und essbaren Dreck anzubieten statt „gehobenes Kunsthandwerk und eine Gourmetmeile“. Woran das wohl liegen könnte?

7. Gleichzeitig will der Bezirk Teile des Weddings unter Milieuschutz stellen. Die Berliner Woche berichtet: „Bis Ende des Jahres lässt Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) jetzt detailliert die beiden Verdachtsgebiete in Moabit und Wedding-Zentrum rund um den Leopoldplatz untersuchen. Bestätigt sich der Verdrängungsdruck, soll eine soziale Erhaltungsverordnung erlassen werden.“ Eine soziale Erhaltungsverordnung! Aber wie genau soll der soziale Erhalt verordnet werden? So: „In solchen Milieuschutzgebieten kann dann der Bezirk zum Beispiel den Einbau von Fußbodenheizungen und Innenkaminen verbieten, oder Hauseigentümer dürfen keinen zweiten Balkon und keine Gästetoilette einbauen.“ Das sollte funktionieren. Keine Fußbodenheizung, keine Gästetoilette – damit sind praktisch alle draußen, die sonst möglicherweise Hartz-IV-Beziehern, Künstlern oder Studierenden den Wohnraum wegschnappen würden. Denn wer will schon in einer Wohnung ohne Innenkamin leben? Und dann auch noch ohne zwei Balkone? Sollen demnächst etwa Raucher und Nichtraucher auf demselben Balkon stehen, oder was? Das mag doch niemand seinen Gästen zumuten, erst recht nicht, wenn es nicht einmal eine Gästetoilette gibt. Wenn sie dann auch noch den Einbau von Whirlpools, Heimsaunen und Hubschrauberlandeplätzen auf dem Dach verbieten würden, bleiben die Weddinger auch in Zukunft ungestört unter sich. Eines muss man Carsten Spallek allerdings lassen: Der Mann denkt konsequent Sachverhalte zu Ende. Erst das Müllerstraßenfest verbieten, um die Gegend um den Leopoldplatz aufzuwerten, um dann umgehend eine soziale Erhaltungsverordnung auszurufen, das hat schon etwas von Yin und Yang, vom Kreislauf des Lebens.

8. Ich mag das Müllerstraßenfest ja auch nicht. Wenn wir allerdings alles verbieten würden, was ich nicht mag, dann würde die Welt ein wüster und leerer Ort. So wüst und leer, wie es im Kopf von Spallek & Co. offenbar schon lange aussieht. Und das kann doch wirklich niemand wollen.