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Archiv-Artikel

Nun machen sich die Dicken breit

FATTYS Nach den Ballonreifen kommen jetzt die Extrabreiten. Fatbikes und -trikes sind mit dermaßen dicken Pneus ausgestattet, dass man mit ihnen überall hinkommt – nur vielleicht nicht durch die Innenstadt

Die Reifen haben etwa doppelt so viel Auflagefläche wie ein Mountainbike

VON HELMUT DACHALE

Nahezu ein Drittel der deutschen Staatsfläche ist mit Wald bedeckt. Und dann soll es ja auch noch Sandstrände und Dünenlandschaften geben, Wiesen und Weiden, Matsch und Modder. Eine Menge an unversiegelten Quadratkilometern, genau das Richtige fürs Fatbike. So zumindest sehen es seine Hersteller. Und die haben sicherlich auch nichts dagegen, dass dieses ziemlich wuchtig aussehende Spezialrad neuerdings als eigene Gattung gehandelt wird und zudem als hip gilt. Ein Trendfahrrad, das deshalb auch zunehmend auf den Straßen und Radwegen der Großstädte daherkommt, auf dem Jungfernstieg ebenso zu sehen ist wie Unter den Linden. Aber ein SUV ist ja auch eher auf der Autobahn als in der Einöde unterwegs.

Das Aufsehen erregende oder gar Furcht einflößende am Fatbike: die fetten Reifen. So voluminös, dass man sie sich durchaus auch am Mars-Rover vorstellen könnte. Bis zu 4,8 Zoll ist momentan angesagt, umgerechnet eine Breite von etwa 120 Millimetern und damit ungefähr doppelt so viel Auflagefläche wie beim üblichen Mountainbike. Von den vergleichsweise schmalen 42er- oder 37er-Breiten, auf denen Trekking- und Stadträder sich bewegen, ganz zu schweigen. Was soll das, was soll die gewaltige Übergröße denn bringen? „Vorteile im unwegsamen Gelände“, meint Doris Klytta, Pressesprecherin der Ralf Bohle GmbH („Schwalbe“). Das Unternehmen hat gerade sein erstes superdickes Reifenmodell vorgestellt: Jumbo Jim, zu haben in der Breite von 4 wie auch 4,8 Zoll. Als europäischer Fahrradreifen-Marktführer liefert Bohle auch noch so manche andere voluminösen Reifen, aber das sind dann Ballon- oder MTB-Reifen wie Fat Frank, Hans Dampf oder Dirty Dan. Alle unter 2,5 Zoll angesiedelt, betont Doris Klytta die Unterschiede. Nein, Jumbo Jim ist der erste und zurzeit der einzige Extrabreite, den Bohle ins Sortiment aufgenommen hat. Erst mal schauen, ob der fette Trend nicht doch nur ein Hype ist. Ach was, heißt es bei den Fans des Fatbikes. Im Wald, auf Sand, Kies oder Schnee sei ein derart ausgerüstetes Fahrrad in Sachen Traktion und Komfort unschlagbar. Womit sie zum einen die Bodenhaftung loben, zum anderen den niedrigen Luftdruck, mit dem die dicken Reifen gefahren werden und die so Unebenheiten der Piste naturgemäß stärker abfedern können als die prall aufgepumpten Schmalen.

„Ein Fatbike braucht man nicht, man will es“, weiß Gunnar Fehlau, Fahrradexperte, Fachjournalist und einer, der auch privat auf die dicken Reifen abfährt. Das Fatbike wird seinen Weg machen, davon ist er überzeugt, vor allem im Fahrradtourismus. Aber wohl nicht im Stadtverkehr, wo allenfalls Kopfsteinpflaster, Baumwurzeln und aufgeplatzte Müllsäcke zu meistern sind. Denn da, wo glatter Asphalt dominiert, dürfte der hohe Rollwiderstand, eben resultierend aus der immensen Reifenbreite und dem niedrigen Luftdruck, auf die Dauer als hinderlich erlebt werden. Stimmt schon, bestätigt Doris Klytta, als Stadtfahrzeug wäre ein Fatbike wohl eher eine Qual. Auch nicht gerade vorteilhaft: Trotz karger, alltagsuntauglicher Ausstattung à la MTB ist ein Fatbike ein Monsterprodukt, was sich auch im Gewicht bemerkbar macht. Schließlich müssen aufgrund der überdimensionierten Reifen auch Rahmen und die meisten Komponenten ein wenig größer ausfallen, Gabel und Naben unter anderem.

Wenn das alles von widerstandsfähiger Qualität sein soll, wie es sich für ein Bike, das weit draußen zum Einsatz kommt, auch gehört, dann sind für so ein Fatty ohne Weiteres 1.200 Euro fällig. Bei individueller Konfiguration, der Verwendung von Carbon, und wenn vielleicht noch Vollfederung gewünscht wird, ist mit der doppelten oder gar vierfachen Summe zu rechnen.

Rund 4.500 Euro soll beispielsweise ein Gefährt kosten, das allerdings unter all den ohnehin schon auffälligen XXL-Rädern noch mal eine Sonderrolle spielen dürfte: das Fat Trike des englischen Herstellers ICE. Angekündigt als Weltpremiere. „Zum ersten Mal finden hier fette Reifen serienmäßige Anwendung bei einem Liegedreirad“, so Kirk Seifert, der es mit seiner Icletta GmbH exklusiv in den deutschsprachigen Markt rollen will. An diesem Wochenende, auf der VELOBerlin (siehe nächste Seite), wird das ICE-Trike öffentlich vorgestellt und dann in den Handel kommen. 26 Zoll große Laufräder mit Schwalbes Jumbo Jim in der 4-Zoll-Bereifung gehören zur Basisausstattung, die noch umfangreichere Version ist aber auch machbar. Und ausgestattet mit Gepäckträger und Kettenschaltung oder Rohloffs 14-gängiger Nabenschaltung Speedhub XL sei das faltbare und gefederte Trike nicht nur geländegängig, nicht nur ein Spaßrad, meint Joachim Schmelz, Werkstattleiter bei Icletta. „Es ist auch für Radtouren und den Alltag geeignet.“ Trotz des hohen Rollwiderstandes? Nun ja, meint Schmelz, wenn so ein dickes Ding erst mal in die Gänge gekommen ist, rolle es halt überall. Nur auf Radwegen und überhaupt in den Innenstädten könnte es aufgrund der Gesamtbreite eventuell doch etwas eng werden.