: „Ich musste da raus“
PROVOKATION Der Kabarettist Serdar Somuncu will angegriffen werden. Und brüllt gern zurück. Gerade jetzt, wo er von der Comedywelt genug hat. Dass er Harald Schmidt scheiße findet, versteht sich von selbst
■ Der Mensch: Somuncu,1968 in Istanbul geboren, emigrierte mit seinen Eltern im Alter von zwei Jahren nach Deutschland und fühlte sich nie diskriminiert: „Ich war der Einzige, der Serdar hieß. Das ist doch geil.“ Studiert Musik und Schauspiel, arbeitet als Studioschlagzeuger, inszeniert und spielt Theater.
■ Der Weg: Berühmt wurde er nach 1996 mit seinen szenischen Lesungen aus dem Buch „Mein Kampf“ von Adolf Hitler. Somuncu tourt mit eigenen Programmen, tritt im Fernsehen auf, spielt weiter Theater und macht nun auch noch Musik. Sein im November erschienenes Album heißt: „Dafür kommt man in den Knast“.
INTERVIEW THOMAS WINKLER
sonntaz: Herr Somuncu, lassen Sie uns über Wut sprechen.
Serdar Somuncu: Warum das? Warum reden wir nicht über Sanftmut?
Weil Sie Experte für Wut sind. Ihre aktuelle Bühnentour heißt ja auch „Der Hassprediger“.
Ich glaube nicht, dass die Wut das Einzige ist, was mich ausmacht.
Auf der Bühne brüllen Sie, gehen Ihr Publikum an und provozieren es, bis es im Idealfall selber wütend wird.
Sie haben mich überzeugt. Also reden wir über Wut, warum nicht.
Sie haben bemerkt, dass Sie mit Ihrer Wut nicht mehr allein sind?
Ja, das habe ich bemerkt. Der Wutbürger, mein vervielfältigtes Pendant.
Nicht nur der. Die Occupy-Bewegung ist wütend auf die Banken, das arabische Volk auf ihre Diktatoren. Ist Wut das bestimmende Gefühl unserer Zeit?
Ja, ich glaube schon. Als ich angefangen habe, auf der Bühne meine Wut ungehemmt zur Schau zu stellen, war das neu und für manche auch sehr erschreckend. Diese Konfrontation mit der rohen Gewalt der Wut hatte etwas Bedrohliches, weil ich etwas aussprach, was sonst nur im Inneren der Zuschauer stattfindet.
Können Sie die Wut Ihrer Mitmenschen verstehen?
Im Nahen Osten zum Beispiel, da gab es lange Zeit erstaunlich wenig Wut – oder zur falschen Zeit. Jetzt merkt man, dass Wut sehr wohl dazu dienen kann, dass Prozesse in Gang kommen, dass eine Energie entsteht, dass es zu Umstürzen kommt. Das ist angewandte Wut.
Aber ist Wut als politisches Werkzeug nicht problematisch, weil Wut – wie das Sprichwort sagt – blind macht?
Das ist eine schwere Frage. Ich glaube, es gibt nicht nur blinde Wut, sondern auch sehende Wut. Es gibt die Wut eines Kindes, das auf etwas einschlägt, weil es nicht weiß, wie es funktioniert. Aber es gibt auch die Wut eines erwachsenen Menschen, der in einer ausweglosen Situation ist und dem die Wut als einzige Form des Widerstands bleibt.
Ist die Wut, die Sie auf der Bühne rauslassen, eine Wut, die nicht blind macht?
Ja. Die Zuschauer gehen nicht raus mit dem dumpfen Gefühl, alles kaputt machen zu wollen. Sie gehen, hoffe ich, mit dem Gefühl, dass sie etwas besser verstehen, aber immer noch nicht beeinflussen können – und das macht wütend, aber eben sehend wütend.
Wozu dient dann diese Wut, wenn sie eh nichts verändern kann?
Zuerst einmal hat sie natürlich eine kathartische Funktion – vor allem für mich. So wird verbalisiert, was sonst nur in mir rumort – und womöglich rauskommt, wenn ich es nicht kontrollieren kann.
Das ist schön für Sie, aber was hat der Zuschauer davon?
Der Zuschauer soll sich wiederfinden in meiner Wut, soll sich identifizieren, damit ich wieder mit dieser Identifikation spielen kann. Ich will nicht der Bekehrer sein. Ich will nicht Agitator sein. Ich glaube, ich nehme die Leute mit zu einem Punkt, an dem sie selbst entscheiden müssen, ob sie weitergehen wollen. Die meisten, das merke ich an den Reaktionen, sind dazu durchaus in der Lage: Die Zuschauer können abstrahieren.
Aber nicht alle.
Manchmal merke ich: Da habe ich jemanden zu weit in die Irre geführt. Einige können gar nicht mehr unterscheiden, ob ich ihr Ressentiment bestätigt habe oder ob ich es unterwandern wollte. Aber davor habe ich mittlerweile keine Angst mehr: Leute, die so am Rand ihrer Überzeugung stehen, die kann man eh nicht davon abhalten zu denken, was sie denken.
Warum tun Sie das dann?
Der Umschwung zur drastischeren Darstellung kam, als ich 1996 begonnen habe, „Mein Kampf“ vorzulesen. Damals ist diese Initialwut entstanden aus den Bedrohungen, aus der Angst, die ich gespürt habe bei dieser endlosen Reise durch diese Republik, in der ich allabendlich vor Leuten saß, ohne zu wissen, wohin das führen wird.
Sie sind sogar mit schusssicherer Weste auf die Bühne gegangen.
Nur ein einziges Mal. Die „Mein Kampf“-Lesungen waren politische Lesungen, deshalb waren die Auseinandersetzungen auch drastischer. Da ging es nicht mehr um künstlerische Fragen, sondern einzig und allein um die Auseinandersetzung mit diesem Stoff und seiner Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart. Ich wollte wissen: Wie kann ich Leute erreichen, die diesen Text ganz anders verstehen? Wie kann ich mit meinen politischen Gegnern in einen Dialog treten? Früher war ich Impressionist, heute bin ich extremistischer Expressionist.
1.428-mal haben Sie aus „Mein Kampf“ vorgelesen. Stimmt die Zahl?
Ja, das ist eine belegte Zahl.
2006 haben Sie dieser Zeitung erzählt: „Mittlerweile spielt ja sogar Helge Schneider Hitler. Ich weiß nicht, ob ich das dann noch brauche.“
Na und? Ich bin nicht gebunden an irgendwelche Aussagen, die ich mal gemacht habe. Ich bin aus Überzeugung inkonsequent. Damals war ich es einfach leid, ständig diese Hitler-Geschichte erzählen zu müssen.
Wütend werden Sie aber trotzdem noch.
Ganz problemlos. Solange Menschen wie Sarrazin Bücher schreiben und Leute sagen, der hat doch recht, gibt es ja auch noch genug Grund. Aufgrund der Diskussionen habe ich mich von langjährigen Freunden getrennt, weil die sich als Teilzeitnazis entpuppt haben. Ich selbst bin differenziert intolerant, wir können über alles lästern, wenn wir es nicht ernst meinen. Aber was in dieser Debatte hinter der Maske der Auseinandersetzung um Integration für eine hässliche Fratze zum Vorschein kam, das war erschreckend.
Noch erschreckender war ja wohl, dass Neonazis hierzulande unbemerkt jahrelang morden konnten.
Für mich war das ehrlich gesagt nichts Neues. Nur das Potenzial der kriminellen Energie und die Perfidie, mit der diese Taten umgesetzt wurden, haben mich überrascht. Ich war jahrelang auf Tour mit einer Lesung aus „Mein Kampf“ und habe am eigenen Leibe erfahren müssen, wie die rechtsradikale Szene ihre Territorien und ihren Meinungsanspruch verteidigt und so zugleich unsere demokratische Konstitution attackiert hat.
Was haben wir falsch gemacht?
Wir haben an dieser Realität vorbeigelebt, Gelder gekürzt und Aufklärung und Prävention weitgehend totinstitutionalisiert. Wir haben über nationale Identität und Leitkultur schwadroniert, statt davor zu warnen, dass in manchen Landstrichen bereits „national befreite Zonen“ existierten und die Zahlen rechtsradikaler Übergriffe in den letzten Jahren stetig gestiegen sind. Noch vor wenigen Jahren wollte das die deutsche Öffentlichkeit nicht wahrhaben, obwohl es Übergriffe und Morde an Ausländern und Andersdenken en masse gab.
Verzweifelt man da, wenn man jahrelang mit „Mein Kampf“ tourt, um aufzuklären, und dann kommt so etwas an die Öffentlichkeit?
Einerseits ja, denn man erschreckt sich und merkt, dass man mit seinen Warnungen immer recht hatte, obwohl sie oft auf taube Ohren gestoßen sind und man am Ende schon selbst fast dachte, man wäre paranoid. Andererseits denkt man: besser, die Leute kapieren es jetzt als nie. Ich bin schon froh, wenn über rechtsradikale Gewalt mit der gleichen Vehemenz diskutiert wird wie über kriminelle Ausländer.
Also reden wir wieder über Wut. Und über Ihre Platte, die sehr wütend geworden ist.
Finden Sie?
Ja, man wird als Hörer ganz schön beschimpft und angebrüllt.
Echt? Ich finde, es gibt erstaunlich viele Liebeslieder. Wir, mein Produzent und ich, haben lange gehadert. Wir hatten mehr als 50 Songs.
Da hatte sich wohl allerhand angesammelt.
Es war wohl so, dass das alles schon lange in mir war. Ich habe mich so unwohl gefühlt in den letzten Jahren, weil ich gar keinen Bock mehr auf diese Comedy-Scheiße hatte.
So schlimm?
Das hat mich verfolgt. Ich bin da reingerutscht, weil ich Kohle verdienen wollte. Dann habe ich schnell gemerkt: Okay, du kannst das ganz gut, die Leute lachen über dich. Dann wurde ich geil auf die Bekanntheit. Vorher hatte ich Kafka und irgendeinen anderen Scheiß gespielt, da kam keiner. Plötzlich machte ich Comedy, und die Hütte war brechend voll. Also gut, habe ich gedacht, ich verkleide mich auch gern als Comedian, Hauptsache, die Leute kommen und ich kann anderthalb Stunden lang mit denen machen, was ich will. Jeder Fernsehauftritt brachte doppelt und dreifach Zuschauer, aber plötzlich war ich auch im „Quatsch Comedy Club“ und habe gedacht: Was ist das denn für eine Scheiße hier?
Was war denn so scheiße?
Dass man festgelegt wird. Die Comedy war Teil meiner Arbeit, aber nie das Ziel, nicht meine Leidenschaft. Ich war plötzlich an etwas gebunden, was ich gar nicht machen will. Da habe ich zwei Jahre im luftleeren Raum gehangen und mit mir selbst gehadert. Ich wurde unheimlich anti. Ich bin zu „Cindy aus Marzahn“ auf RTL gegangen und habe da so rumrandaliert, dass die mich komplett zensiert haben, worüber ich mich dann wieder prima aufregen konnte. Ist natürlich klar, dass sich RTL nicht so vor den Karren scheißen lässt.
So eine Art öffentlich inszenierter künstlerischer Selbstmord?
Nein, aber dieses Comedy-Ding hatte zu viel Macht über mich gewonnen. Natürlich habe ich wie jeder Künstler die Anerkennung geliebt. Aber ich bin jetzt 43 Jahre alt. Ich komme mir albern vor, wenn ich auf der Bühne stehe und Witze mache. Ich musste da raus. Heute spiele ich mein Programm, es gibt manchmal nur zwei, drei Lacher, und die Leute geben am Ende trotzdem Standing Ovations.
Obwohl Sie anderes erwartet haben?
Ja. Das liegt zum einen daran, dass ich ziemlich übergriffig bin. Die Zuschauer werden verunsichert: Warum werde ich jetzt angeschrien? Was will der von mir? So eine Unklarheit kennen die Leute nicht mehr aus dem Fernsehen, wo man mittlerweile genau weiß, was passieren wird, wo alles untertitelt und erklärt und illustriert wird. Ich merke, dass viele Zuschauer danach gieren, endlich etwas Komplexeres geboten zu bekommen, sie wollen gefordert werden.
Ist das wirklich so?
Ja, man muss allerdings einiges dafür tun, damit sie es merken. Manche sitzen im Publikum und nehmen mich mit dem iPhone auf, andere schreiben erst mal eine SMS, sie hören mir gar nicht zu. Dann rasten sie aus, weil ich ihnen das Telefon wegnehme und zwei Stunden am Stück spiele, sie aber schon nach zehn Minuten eine Pause brauchen, weil sie vom Fernsehen so getaktet sind. Das kann unheimlich frustrierend sein. Und wütend machen.
Ist die Musik eine Flucht vor diesem Frust?
Nein, ich habe immer Musik gemacht, wenn auch in den letzten Jahren nicht in der Öffentlichkeit. Ich kann mir die Musik im Moment einfach leisten. Nicht weil ich reich bin, aber ich brauche keine Existenzangst mehr zu haben, die lange Jahre mein Leben bestimmt hat. Außerdem hatte ich keine Lust mehr zu reden, und die Musik gibt mir einen direkteren, auch weicheren Zugang zum Hörer. Durch den Klang entsteht eine Berührung, die ist einzigartig, die kann man durch Worte nicht konstruieren.
Nun fragt man sich aber bei manchem Song auf dem Album, wie ernst der gemeint ist.
Ja, diese Ambivalenz war mir bewusst. Es gibt Songs, die sehr ironisch sind, aber viele Songs sind auch Liebeslieder ohne Wenn und Aber. Natürlich habe ich mich auch gefragt: Glauben die Leute mir das? Aber das ist auch eine Facette von mir und ich habe mich irgendwann dazu entschlossen, dass mir das egal ist, ob das zu meinem bisherigen Image passt. Das alles repräsentiert mich. Ich will eine Ballade über den Tod singen können, dann einen Punksong brüllen und dann wieder einen Comedy-Song.
Mit der „Comedy“ rechnen Sie im gleichnamigen Song auf Ihrem Album ab. Dort findet selbst ein Heinz Ehrhardt keine Gnade vor Ihren Augen.
Ja, der ist doch aber auch schrecklich, dieser pupsige, spießige Wirtschaftswunderhumor der fünfziger Jahre. Das ist der Humor einer vom Krieg geschundenen Gesellschaft, die danach gelechzt hat, wieder ungeniert lachen zu dürfen. Heute kann ich über diese Kinderreime nur den Kopf schütteln. Ich fand Heinz Ehrhardt nie lustig. Die Geschmäcker sind eben verschieden. Es gibt ja selbst Menschen, die finden Mario Barth sehr lustig. Zugegeben: Mario Barth ist ein Profi. Das, was er macht, das macht er gut. Aber das, was er sagt, bleibt scheiße.
Ist der Deutsche prinzipiell humorlos?
Deutsche Comedy ist gefällig, hat kein Gramm Risiko. Sie bringt den Zuschauer nicht an einen Punkt, an dem er nicht weiß, wie es weitergeht. Das ist mir nicht intelligent genug. Es gibt nur ein paar Künstler, die meiner Meinung nach in die richtige Richtung gehen: Klaas Heufer-Umlauf, Oliver Polak oder Carolin Kebekus, die trauen sich zumindest auf der Bühne was.
Was ist mit Harald Schmidt?
Fand ich nie gut. Zum einen, weil ich ihn mal kennengelernt habe und er unheimlich arrogant ist und herrisch und nicht gut mit Menschen umgeht. Und zum anderen, weil ich auch seinen Humor extrem herablassend finde. Schmidt stellt sich als gebildeten Menschen dar, aber er wirkt verbittert, karrieregeil und unlustig. Den Prolls wird immer vorgeworfen, sie hätten ihren Mario Barth, aber Schmidt ist eben der Clown für die Intellektuellen. Effektheischend sind sie beide: Der eine reißt Witze über seine Freundin, der andere spielt Brecht mit Playmobilfiguren nach, bei beiden lacht man über Dinge, die man kennt. Das ist so langweilig wie eine Symphonie, die nur aus Dur-Akkorden besteht. Aber ich will das anders: Ich will, dass ein Künstler mich angreift und angeht und vor allem den Mut zeigt, mich zu irritieren.
Sie haben mal gesagt, Sie träumten von einem Kabarettabend, an dem alle das Theater sauer verlassen.
Nein, das möchte ich auf keinen Fall.
Haben Sie aber gesagt …
Ja, dann hab ich das halt gesagt! Aber das interessiert mich jetzt nicht mehr. Hab ich eben gelogen. Das habe ich außerdem der Welt gesagt, da musste ich lügen. Der taz sage ich hier und jetzt natürlich nur die Wahrheit.
■ Thomas Winkler, 46, ist taz-Autor und mag Menschen, die noch richtig wütend sein können