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Archiv-Artikel

„Tag und Nacht – wie Big Brother“

HAUSBESUCH Sie lassen Elektrogeräte länger leben und sie lieben sich. Bei Lucie und Muharrem in Berlin-Neukölln

VON MARLENE GOETZ (TEXT) UND AMÉLIE LOSIER (FOTOS)

Berlin-Neukölln, wo es am buntesten, schrillsten, lautesten ist. Nord-Neukölln ist das, arabische Cafés, viele Menschen, die man Hipster nennt, weil sie sich auf eine irgendwie extravagante Tracht geeinigt haben. Früher war hier die Einflugschneise des Tempelhofer Flughafens, heute ist es ein Ort stärksten Wandels. Zu Besuch im Elektronikladen Batman an der Hermannstraße bei Muharrem Batman (49) und Lucie Kylichova (38).

Draußen: An der U-Bahn-Station Boddinstraße drehen sich seltsame Figuren in einem Schaufenster. Davor halten Neugierige an, gucken und fotografieren die bunten Kreaturen: eine türkis-blau-goldene orientalische Tänzerin, die Hacken hat anstatt der Hände; eine außerirdische Frau mit Computertastenkleid, ein muskulöser Indianer-Punk aus dem All, der einen Kabelzopf und Glühbirnenwaffen trägt. Sie wenden sich mechanisch auf ihren Sockeln.

Drin: Viele Computer, alte und neue, Bildschirme, Schreibmaschinen, Wecker, Kopierer, DVDs, Schallplatten und Schallplattenspieler, Radiogeräte, Kabel jeder Größe, Länge und Farbe, Schrauben und Schräubchen. Eine lebensgroße Lara-Croft-Figur steht da in Schweißer-Ausstattung. Das Radio spielt Hits, das Telefon klingelt ständig, „Batman?“ sagt, wer drangeht. Leute kommen rein, stehen Schlange, um ihre Computer abzugeben oder abzuholen. „Meen Komputer is krank“, sagt eine Frau. Hinter der mit Zeug hochgestapelten Ladentheke raucht Muharrem, seine Partnerin ist am Telefon, die Schlange wird immer länger: ein spanischer Hipster mit Laptop, eine Oma mit kaputtem Kassettenrekorder, der DHL-Typ. Um ihn zu bezahlen, leeren sie die selbst gebaute Kaffeekasse.

Wer macht was? Lucie Kylichova und Muharrem Batman sind Inhaber und Geschäftsführer von „Batman Elektronik“, sie haben auch noch einen kleineren Laden in Brandenburg. Sie reparieren und verkaufen alles, was elektronisch funktioniert. „Es macht Spaß“, sagt Lucie, computeraffin sei sie schon immer gewesen. „Ich mag, dass es eine ungewöhnliche Arbeit ist für eine Frau.“ Ihr Lebensgefährte ist schon länger in der Branche, und etwas weniger begeistert, doch beide „lieben ihre Arbeit“.

Wer denkt was? Seit Jahren beschäftigt sich Muharrem Batman mit geplanter Obsoleszenz, also der von Herstellern absichtlich verkürzten Lebensdauer ihrer Geräte. Muharrem macht bei den Aktivisten des ReUse-Vereins mit, Aufarbeitern, Wieder- und Weiternutzern elektronischer Geräte. Auch bei seinen Schaufensterfiguren, die aus Elektroschrott bestehen, geht es darum: „Ich kläre die Leute auf, das ist seit 15 Jahren das Ziel bei meiner Kunst.“ Es sei auch sein Beitrag zur Umwelt: „Je mehr ich repariere, desto weniger kaufen Leute Neues, ich überzeuge viele.“ Er wünscht sich ein Gesetz gegen diese Praxis und mehr Zeit für seine Leidenschaft. Und Lucie, was hält sie von den Kunstwerken? „Es ist schön, aber ich habe keine Zeit dafür“, sagt sie.

Muharrem Batman wurde 1965 in einer Uhrmacherfamilie in Istanbul geboren. Seine Mutter verließ den Vater und reiste nach Deutschland, als erstmals Gastarbeiter gesucht wurden. „Uns Kinder hat sie nach und nach hergeholt“, sagt er, jetzt ist er schon vierzig Jahre hier („Ich hatte vier Schwestern und war der einzige Sohn: Ich bin wie ein Pascha aufgewachsen“). Trotzdem musste er mit anpacken, als seine Mutter in zweiter Ehe einen Bäcker heiratete („Ich habe es gehasst“). Sein Traum war es, Elektroniker zu werden – oder DJ. Doch alles kam anders: Er machte keine Ausbildung und vor Lucie („Lutzko“ nennt er sie liebevoll) hatte er Pech mit der Liebe. „Drei Kinder, drei Frauen!“, sagt er, „die erste war eine sehr hübsche Deutsche, sie hat mich reingelegt und beim Jugendamt wegen dem Unterhalt fertig gemacht“. Die zweite Frau war Türkin, sie bekamen 1987 einen Sohn, aber sie verließ ihn nach sechs Jahren. Zehn Jahre lang blieb er alleine und arbeitete sich durch („Ich habe mir alles selbst beigebracht“). Er fing an auf den Flohmärkten, war dort bald Bestverdiener, öffnete vor 15 Jahren sein erstes Geschäft in Neukölln.

Lucie Kylichova stammt aus Tschechien, sie wurde 1976 in Roudnice an der Elbe geboren. Ihr Eltern, Landwirte, wollten für sie „eine saubere Arbeit im Büro“. Mit 14 kam sie ins Internat, machte ihr Abi und arbeitete von 1995 bis 1997 als Sekretärin in Prag („Es hat mir nicht gefallen, für jemanden Kaffee zu kochen“). Anschließend acht Jahre als Buchhalterin, bis sie für die Liebe nach Berlin zog. Deutsch hat sie nie wirklich gelernt („Ich habe die gehackte Version aus Neukölln“). Mit Muharrem hat sie eine sechsjährige Tochter.

Was hätten Sie anders machen wollen? Lucie ist fröhlich, sie lacht viel – aber da ist auch ein großes Bedauern: Als bei ihrem Vater 2007 Krebs diagnostiziert wurde, blieb sie nicht zu Hause („Deshalb mache ich mir Vorwürfe“). Zumal ihr Vater ohnehin dagegen war, dass sie nach Deutschland ging. Und Muharrem? Er hätte gerne Elektronik studiert und „die deutsche Wertarbeit gelernt: Da wäre ich bestimmt ordentlicher geworden.“

Das erste Date: Sie kam 2005 nach Berlin, um eine Freundin zu besuchen. Die kannte „Batman“ und ließ dort ihren Computer reparieren. Ihm gefiel Lucie, weil sie „so natürlich, ungeschminkt und so weiter“ war. Um ein Date zu organisieren, boten die Frauen an, ihm bei der Arbeit zu helfen, damit er etwas Zeit für ein Abendessen finden könne. Sie strichen für ihn den Laden. In Begleitung der Freundin und Muharrems Nichte gingen sie essen, eigentlich sind sie „seitdem zusammen“, sagt Lucie. „Tag und Nacht, wie Big Brother!“ Sie lacht.

Heiraten? Von allen wird Lucie „Frau Batman“ genannt, verheiratet aber sind sie „noch nicht“. Muharrem hat es fest vor: „Mein Traum ist es, ihr ein Hochzeitskleid aus Elektroschrott zu bauen.“ Früher hat ihr diese Idee nicht gefallen, jetzt sagt Lucie: „Hauptsache, es passiert!“

Alltag: Lucies Tag fängt um 5.30 Uhr an: Aufstehen, Kohle für die Heizung holen, Tiere füttern, Frühstück fürs Kind vorbereiten, Brotzeit machen und in die Schule bringen, mit dem Hund spazieren gehen. Ihr Mann steht gegen sieben auf. Die Woche teilen sie sich auf, zwischen dem Laden in Berlin und dem in Schlieben, Brandenburg, wo sie wohnen („Das ist uns unsere Tochter wert: Wir wollten sie nicht in Neukölln einschulen“). Die Autofahrt nach Berlin dauert über eine Stunde: Montag und Freitag übernimmt sie, er fährt Dienstag und Donnerstag, Mittwoch und Samstag arbeiten sie zusammen. Mittagessen: „so zwischendurch“. Der Laden schließt um sechs. Zu Hause „beginnt für die Frau eine zweite Schicht“, sagt Lucie. Sie kümmert sich um die Tochter, betreut die Hausaufgaben und bringt sie um acht ins Bett, dann reparieren sie noch, „was am Tag nicht geschafft wurde“. Manchmal bis spät in die Nacht (Muharrem: „Vor Mitternacht sind wir nie im Bett“). Zum Entspannen guckt Lucie NCIS („meine Lieblingsserie“), ihr Mann bastelt an seinem Elektroschrott rum. Sonntag: „Da reparieren wir unser Haus.“

Wie finden Sie Merkel? „Sie hat mit der Zeit ihr Aussehen verbessert“, findet Lucie, die zugibt, dass sie nicht viel von Politik versteht („auch nicht in Tschechien“). Muharrem: „Merkel ist besser als die Männer, sie ist echt okay und gut für Deutschland.“ Trotzdem: „eine Marionette“.

Wann sind Sie glücklich? „Wenn ich ein Gerät wieder zum Leben gebracht habe oder ein Kunstwerk fertig ist“, sagt Muharrem. Lucie macht das Zusammensein mit der Familie glücklich, „und wenn ich gut gegessen habe“.

Sie möchten auch einmal besucht werden? Schreiben Sie eine Mail an hausbesuch@taz.de