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Archiv-Artikel

Die Kollateralschäden

TERROR Neuer RAF-Film, neuer Blickwinkel: „In den besten Jahren“ (Mittwoch 20.15 Uhr, ARD)

Die kleinen Leute, die getöteten Fahrer, die Polizisten, die Hausmeister, kommen nie in den Bekennerschreiben vor

Den Kopf aus dem Fenster des fahrenden Autos strecken, in den Fahrtwind halten. Der das in der ersten Einstellung des Films macht, lachend, glücklich, ist ein junger Mann. Die es in der letzten Einstellung macht, weinend, tieftraurig, ist eine ältere Frau. Sie waren einmal ein Paar, glücklich, verheiratet, mit kleiner Tochter. Das war vor 41 Jahren, in einem überbelichteten, grobkörnigen anderen Zeitalter. Als der Mann, der bei der Polizei war, einen zu schnell fahrenden Wagen angehalten hat. Als der Fahrer des Wagens, der bei der RAF war, den Polizisten erschossen hat.

Die Wohnung, in der die ältere Frau lebt, ist die Wohnung, in der sie mit ihrem Mann gelebt hat. Man kann den Mief beinahe riechen, die piefige Seite der 70er, alles ist irgendwie braun. Nichts hat die Frau verändert. Fast nichts. An der Wand hängt ein Porträt ihres jungen Mannes, davor steht eine frische rote Rose. Der Mord an ihrem Mann, die Frau hat das nie verwunden. Sie hat ein verbittertes, retrospektives Leben gelebt.

Der Film von Hartmut Schoen (Buch und Regie), der dieses Leben zeigt, ist beeindruckend, ist anrührend, ist unendlich traurig. Ist schwere Kost. Ist voller theaterhafter, an sich fernsehfremder Monologe von Großschauspielern: Manfred Zapatka, Burkhart Klaußner, Matthias Brandt, Ellen Schwiers. Und natürlich Senta Berger, die die Frau spielt. Die Frau, die exemplarisch ist für den am wenigsten interessanten, vergessenen, kaum je zur Kenntnis genommenen Part der RAF-Historie. Der auch in den jüngsten RAF-Filmen von Edel/Eichinger („Der Baader Meinhof Komplex“) und Andres Veiel („Wer wenn nicht wir“) keine Rolle spielt.

Was die Frau sagt, ist programmatisch: „Aber die kleinen Leute, die getöteten Fahrer, die Polizisten, die zufällig umgeknallten Hausmeister, die sind nie in ihren Bekennerschreiben vorgekommen. Nie. Kein Wort. Keine Entschuldigung. Kein Mitgefühl. Nichts.“ In dem großen Kampf der Bürgersöhne und -töchter der RAF kamen Kleinbürger nur als Kollateralschäden vor. „Na ja, und die Medien: genauso. Nur die großen Namen zählen.“

Ihr Mann hatte keinen großen Namen, sein bald gefasster Mörder profitierte von der „Kronzeugenregelung“ – die es zu RAF-Zeiten und vor 1989 in der BRD nicht gab, hier hakt der Plot gewaltig –, bekam Freiheit und neue Identität. Die Frau jedoch bekam nie die Antworten auf ihre Fragen: „Es gibt viele, die in diesem Zusammenhang nix sagen. Die RAF-Leute sagen nix. Die auf der Staatsseite sagen nix. Was ist da los? (…) Keines der RAF-Verbrechen ist bis heute aufgeklärt. Die Verurteilten sind alle nur wegen Mittäterschaft verurteilt worden.“

Dieses „nur“ ist juristisch natürlich Unsinn, weil der Mittäter gerade kein bloßer Teilnehmer ist, nicht weniger hart bestraft wird als der Alleintäter. Aber was hilft das etwa einem Michael Buback, wenn er seinen Seelenfrieden doch nur dann erlangen kann, wenn er weiß, wer in persona am 7. April 1977 den Abzug an der HK 43 betätigt und seinen Vater erschossen hat. Es hilft ihm auch nichts, dass sein Vater einer der „großen Namen“ war, anders als der fiktive Polizist im Film. Für Seelenfrieden sind deutsche Gerichte nicht zuständig. Das ist auch ganz richtig so, aber wer ist dann zuständig? „Für mich hat sich noch niemand interessiert“, sagt die Frau.

Nach 41 Jahren fällt ihr das rote Notizbuch eines phänotypischen Journalisten (Felix Eitner) in die Hände, sie hat plötzlich eine Chance, den Mörder ihres Mannes zu finden: „Aber wenn ich ihn gefunden habe, dann is’ es dann vorbei. Dann kann ich nichts mehr für meinen Mann tun, denke ich. Diesem Kerl, diesem Mörder zu begegnen, ihm zurückzugeben, was er mir angetan hat, meinem Mann – das hat mich gezwungen weiterzuleben. Ich hatte noch zu tun. Verstehen Sie?“ JENS MÜLLER