: Ein Land wird zum Schweigen gebracht
KONGO Verhaftete Oppositionelle, ungeklärte Todesfälle, geschlossene Medien, unterbundene Proteste: Wie das Regime von Präsident Joseph Kabila nach den umstrittenen Wahlen Kritiker mundtot macht
■ In Kongos Hauptstadt Kinshasa wurde am Freitag die Entscheidung des obersten Gerichts über die Gültigkeit des am 9. Dezember von der Wahlkommission verkündeten Wahlsiegs von Präsident Joseph Kabila erwartet. Vital Kamerhe, der gemeinsam mit Oppositionsführer Etienne Tshisekedi Kabilas Wahlsieg nicht anerkennt, hatte das Gericht angerufen. Internationale Wahlbeobachter hatten massive Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenauswertung angeprangert, Kabilas Sieg an sich aber nicht infrage gestellt. Weiter ging jetzt das US-Außenministerium, das sagte, es sei „unklar“, ob die Unregelmäßigkeiten Kabilas Sieg in Zweifel zögen oder nicht. (d.j.)
VON FRANÇOIS MISSER
BRÜSSEL taz | Einen Zyklus aus Protest und Unterdrückung erlebt die Demokratische Republik Kongo seit der Verkündung des Wahlsiegs von Joseph Kabila am 9. Dezember. Vor allem betroffen sind Städte, die massiv für Oppositionsführer Etienne Tshisekedi oder Oppositionspolitiker Vital Kamerhe stimmten – beide erkennen das von der Wahlkommission verkündete Ergebnis nicht an, an dem inzwischen auch internationale Beobachter Zweifel angemeldet haben.
Tshisekedi erklärte sich noch in der Nacht zum 10. Dezember zum gewählten Präsidenten. Bereits am Folgetag kamen mindestens zehn Menschen ums Leben. Sechs wurden in der Hauptstadt Kinshasa erschossen, wo die Präsidialgarde massiv Präsenz in den Armenvierteln zeigte. Eine 19-Jährige starb per Kopfschuss, als sie auf die Straße ging, um Brot zu kaufen. Brennende Straßensperren wurden rasch aufgelöst. Jugendliche Straßenkämpfer greifen mittlerweile zu Brandbomben, berichten Augenzeugen. Im Stadtviertel Masina wurde ein Polizeikommissariat geplündert, in Bandalungwa drang die Polizei in Privathäuser mit Tränengas ein.
Am härtesten ging die Staatsmacht in Mbuji-Mayi vor, Hauptstadt der Provinz Kasai-Oriental, Zentrum der kongolesischen Diamantenindustrie und traditionelle Hochburg von Tshisekedis Partei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt). Feiern zur Selbstausrufung Tshisekedis zum Präsidenten wurden mit Tränengas und Schüssen aufgelöst. Augenzeugen berichten vom Einsatz schwerer Waffen. Die lokale Zivilgesellschaft spricht von „wahllosen Verhaftungen“ von rund 100 Menschen. Wohnhäuser von UDPS-Kadern seien von Bewaffneten angegriffen worden.
Tshisekedi selbst befindet sich in seinem Haus im Stadtviertel Limete von Kinshasa unter faktischem Hausarrest, sagt sein Sprecher Valentin Mubake. Präsidialgardisten, als Polizisten verkleidet, hätten die umliegenden Straßen abgeriegelt. Polizeichef Charles Bisengimana hat dies dementiert, sagt aber, es sei tatsächlich Polizei stationiert, weil von Tshisekedis Haus Demonstrationen ausgingen.
In Lubumbashi, Hauptstadt von Kongos mineralienreichster Provinz Katanga, wurde die UDPS-Zentrale von der Polizei abgeriegelt und geschlossen. Proteste dagegen wurden am 14. Dezember gewaltsam aufgelöst. Der lokale UDPS-Präsident Fabien Mutomb wurde festgenommen. In Katanga haben Beobachter besonders verdächtige Wahlergebnisse festgestellt.
In der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu hat die Ermordung des Sekretärs der Zivilgesellschaft der Stadt Rutshuru am 9. Dezember hohe Wellen geschlagen. Willy Wabo soll getötet worden sein, weil er Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen anprangert hatte. Am 13. Dezember wurde in der Provinzhauptstadt Goma ein Protestmarsch der UDPS und der UNC (Union für die Kongolesische Nation) von Vital Kamerhe mit Tränengas aufgelöst, die beiden lokalen Parteichefs Rubens Mikindo und Bauma Balingene festgenommen und der „Gefährdung der Staatssicherheit“ angeklagt, worauf im Kongo die Todesstrafe steht. Auch in Bukavu, Hauptstadt der Nachbarprovinz Süd-Kivu, ging die Armee am gleichen Tag gewaltsam gegen Demonstrationsversuche vor. Am Vorabend waren in der Stadt vier Menschen ermordet worden.
Solche Nachrichten dringen nur schwer nach außen. Die EU-Wahlbeobachtermission konstatiert „Selbstzensur“ lokaler Medien. Mehrere oppositionelle Sender seien ohne offizielle Ankündigung geschlossen worden. In Mbuji-Mayi traf es RLTV (Radio Lisanga Television); in Kananga, Hauptstadt der Nachbarprovinz Kasai-Occidental, Radio-Télé Amazone, Radio Maria und Radio Espoir du Kasaï; in Kinshasa Canal Futur. SMS-Dienste gibt es im Kongo bereits seit dem 3. Dezember nicht mehr.
Man muss schon in die Zeiten vor 1990 zurückgehen, in die Ära der Einparteiendiktatur von Mobutu Sese Seko, um eine so massive Unterdrückung unabhängiger Medien und Einschränkung der Kommunikation zwischen Bürgern zu finden, sagen erfahrene kongolesische Journalisten. Sie trauen sich nicht mehr, die Regierung zu kritisieren oder auch nur Details von Unregelmäßigkeiten bei der Wahl wiederzugeben. Und sie fragen sich, warum die EU die Arbeit der Wahlkommission kritisiert, zugleich aber die Armee und Polizei aufrüstet und unterstützt, die Kritik im Kongo mundtot machen.