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Archiv-Artikel

TIM CASPAR BOEHME LEUCHTEN DER MENSCHHEIT Dumm und relativ dümmer

Welcher Dummheitstypus sind Sie? Bei Slavoj Zizek können Sie zwischen drei Möglichkeiten wählen: Man ist entweder ein Idiot, debil oder imbezill. Klingt alles nicht so attraktiv? In seinem bisher umfangreichsten Buch „Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus“ (Suhrkamp Verlag 2015) bietet der slowenische Philosoph seine Hegel-Lektüre als Lesehilfe für den dritten Typus an, die Imbezillen.

Ganz gleich, wie sie bestimmt sind, eines müssen diese geistig Benachteiligten in jedem Fall mitbringen: Sitzfleisch. Das Zeitäquivalent von 1.408 Buchseiten beansprucht Zizek nämlich von seinen Lesern als Gegenleistung, um seinen Deutungen Hegels – und damit zugleich von Kant, Schelling, Fichte, Marx, Lacan und ein paar Philosophen mehr – zu folgen.

Wie unterscheiden sich die drei Dummheitstypen im Einzelnen? Bei Idioten hat man es mit einer Art partieller Blödheit zu tun. Ein „(gelegentlich) hyperintelligentes Subjekt“ (Zizek über Zizek) kann da schon mal in die Lage geraten, die eigene Situation nicht hinreichend zu überblicken. Es erfasst zwar logisch, was Sache ist, erkennt jedoch nicht die versteckten Regeln: „Als ich zum ersten Mal in New York war, fragte mich der Kellner in einem Café: ‚Wie war Ihr Tag?‘“, so Zizek. Er habe wahrheitsgemäß geantwortet – Stress, Jetlag und so –, statt einfach „Fine, thanks“ zu erwidern, und wurde vom Kellner – zu Recht, wie Zizek einräumt – angestarrt, als wäre er „ein Vollidiot“.

Debile hingegen identifizieren sich vollständig mit dem gesunden Menschenverstand und sind daher oft nützliche Trottel, wie es zum Beispiel Sherlock Holmes’ Freund Dr. Watson war. Auch der Chor der griechischen Tragödie, in dessen Kommentaren stets allgemeine Wahrheiten auftauchen, gehört in diese Kategorie.

Doch was ist mit den Imbezillen? Abgesehen davon, dass sie mit der im Deutschen eindeutig künstlichsten Nomenklatur versehen worden sind, haben diese mit Mangel an Verstand Geschlagenen die bemerkenswerte Fähigkeit, „Dummheit als etwas vollkommen Normales und Gewöhnliches erscheinen zu lassen“.

Bei Imbezillen findet man sich in bester Gesellschaft wieder, der Philosoph Ludwig Wittgenstein in seinem Spätwerk oder auch der Psychoanalytiker Jacques Lacan, ohne den es bei Zizek nicht geht, waren große Imbezille. Wie Lacan von sich sagte: „Ich bin nur relativ dumm.“ – Wer wäre nicht froh, das wahrheitsgemäß von sich behaupten zu können? Besser, als sich als Zombie wiederzuerkennen. Denn auch die Untoten gehört zu Zizeks anthropologischem Repertoire: „Auf der elementarsten Stufe der menschlichen Identität sind wir alle Zombies.“

Welcher Dummheitskategorie die genau zuzurechnen sind, bleibt offen – aber Zombies sind ja eh hirntot.

■ Der Autor ist ständiger Mitarbeiter der taz-Kulturredaktion Foto: privat