: Raketen für die Familie
AKUSTIKFESTIVAL Der intime Austausch zwischen Künstler und Publikum macht den Erfolg der Sendung „TV Noir“ aus. Am Wochenende wurden im Berliner Admiralspalast die „Rakete“-Preisträger geehrt
VON JAN SCHEPER
Die Streicher sitzen im Nebel, und der ausverkaufte Admiralspalast lacht. Davon lässt sich auch Max Prosa anstecken, der dann doch noch ansetzt, seinen Song „Ikone“ nölig-nuschelnd ins Publikum zu schmettern. Zuvor hat eine übereifrige Nebelmaschine die hinter Prosas Band platzierten Damen an Geigen, Bratsche und Cello in dicken, weißen Dunst gehüllt.
Während sich die rauchigen Schwaden über den Köpfen des Quartetts verziehen, singt der 21-jährige Wahlberliner: „Du sagst, wir sind Ikonen einer längst vergangenen Zeit.“ Als der „TV Noir Rakete“-Preisträger 2011 per Gitarre der Romantik frönt, sitzt am anderen Ende der Bühne Tex Drieschner vor einem großen Raumschiffcockpit – Modell Augsburger Puppenkiste – und schmunzelt. Drieschner weiß: Die Zeit von „TV Noir“ hat gerade erst begonnen.
Was vor 4 Jahren als Experiment im Café Edelweiss im Görlitzer Park startete, ist mittlerweile – dank einer stimmigen Mischung aus Talksequenzen und reduzierten Akustikgigs – eines der Vorzeigeformate des deutschen Musikfernsehens geworden. Seitdem wird die einst im Internet angelaufene Sendung (aktuell fast 27.000 Facebook-Freunde) an jedem 2. und 3. Freitag im Monat um 23 Uhr vom Digitalkanal ZDF.Kultur ausgestrahlt.
Das Jahr 2011 war für das „Wohnzimmer der Songwriter“ – so die Eigendefinition – also ziemlich erfolgreich. Den Jahresabschluss markierte dann am 4. Advent die Vergabe der „TV Noir Rakete 2011“ im voll besetzten Admiralspalast. Es ist eine Preisverleihung, die ihren Zweck nicht allzu ernst nimmt und auf großes Trara, roten Teppich und opulente Dankesreden verzichtet. Ein feines 2,5-stündiges reduziertes Akustikfestival, das auf Indie-Newcomer setzt.
Da ist sich das Team von „TV Noir“, das sonst schwarz-weiß im Neuköllner Heimathafen aufzeichnet, treu geblieben. Obwohl man zahlreiche bereits etablierte Künstler wie Thees Uhlmann, Bosse oder Rainald Grebe hätte einladen können, die in diesem Jahrzu Gast waren.
Neben Max Prosa erhalten das Künstlerkolletiv We Invented Paris aus Basel, Polyana Felbel (Berlin) und die gebürtige Australierin Kat Frankie die „Raketen“. Die Zeit, die sonst für Nominierungsspielchen draufgeht, nutzen die Musiker für ein reduziertes Set aus jeweils 3 Songs, der letzte begleitet von einem Streicherquartett. Bevor es um viertel nach acht losgeht, übt Tex Drieschner noch schnell mit dem Publikum den Raketenstart und die -landung in Form einer Mischung aus Klatschen, Fußgetrampel und Jubel. Ab dann kann eigentlich nichts mehr schiefgehen: Die anwesenden knapp 1.700 Mitglieder der „TV Noir“- Familie sind sofort euphorisiert.
Im Folgenden werden dann auch die prämierten MusikerInnen gefeiert, wobei Polyana Felbel und Kat Frankie ihren männlichen Kollegen doch ein wenig die Show stehlen. Die zierliche Felbel huscht auf die Bühne und entschuldigt sich dafür, dass länger nichts von ihr zu hören war: „Ich hab ’n Kind gekriegt und geheiratet.“ Das Bekenntnis erntet großen Applaus. „Ich fand’s auch gut“, schiebt Felbel lächelnd hinterher. Dann singt sie makellos ihren ersten Song.
Man kann solche Szenen mögen oder nicht, aber sie führen direkt in die Herzkammer des „TV Noir“. Momente wie dieser machen den Erfolg der Sendung aus. Es gibt einen distanzlosen intimen Austausch zwischen Künstler und Publikum, der eine Identifikationsgrundlage schafft. Von diesem Punkt an läuft der Rest von selbst. Übrig bleibt dann bei den meisten das „Wohnzimmer“-Gefühl. Und so wie die von We-Invented-Paris-Sänger Flavian Graber erzählte Geschichte von 30 kleinen Konzerten an einem Tag – unter anderem in einem Gewürzladen – beklatscht wird, scheinen die Zuhörer genau danach ein immenses Bedürfnis zu haben. Das dann außer mit Livegigs und Geplauder auf zwei weißen Sofas und Spielchen angereicherte Programm– die Musiker müssen beispielsweise Umzugskartons aus „Nasa-Kohlefaser“ zur Abschussrampe stapeln – bettet alle in butterweiche sonntägliche Abendunterhaltung.
Was dem familiären Harmoniepaket abgeht, sind die sonst bei „TV Noir“ elementaren poetischen Statements der geladenen Künstler. Um tiefergründige ästhetische und persönliche Diskurse geht es bei der „TV Noir Rakete 2011“ nicht. Es sei denn, man verstünde Max Prosas Diktum, „auf dem Rücken einer Heuschrecke zum Mond zu fliegen“, als Diskussionsangebot.