: Polizeilicher Verfassungsbruch?
Der Republikanische Anwaltsverein, der die Demonstration gegen staatliche Repression am Samstag beobachtet hat, sieht Grundrechte verletzt und fordert die Ablösung von Innensenator Udo Nagel
VON KAI VON APPEN
Wegen des Polizei-Agierens während der Demonstration gegen staatliche Repression am Wochenende werden Rücktrittsforderungen an Udo Nagel (parteilos) laut. „Ein Innensenator, der diesen massiven Verfassungsbruch zu verantworten hat, ist eine unmittelbare gegenwärtige Gefahr, der es entgegenzutreten gilt“, warnen Gabriele Heinecke, Britta Eder und Ulrike Donat vom Vorstand des Republikanischen Anwaltsverein (RAV). „Eine sofortige Ablösung ist ein notwendiges Signal.“
3.500 Menschen hatten sich am Samstag versammelt, um mit der Forderung „Weg mit dem §129a“ zum Hauptbahnhof zu ziehen. Die Verwaltungsgerichte hatten die Route gegen den Wunsch der Polizei freigegeben. Die Polizei aber stoppte den Demonstrationszug ständig wegen lapidarer Verstöße gegen die Auflagen. So sei die Demo lange angehalten worden, berichtet der Versammlungsleiter Bela Rogalla, „um mit einem Zollstock ein Transparent nachzumessen“. Es verstoße gegen den „Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“, Tausende in ihrem Demonstrationsrecht einzuschränken, so Rogalla, „nur weil ein Transparent 90 Millimeter zu lang ist“. Zudem habe Polizeieinsatzleiter Hartmut Dudda gerade die „auswärtigen Einheiten nicht in Griff gehabt“, so Rogalla. Diese seien mehrfach „aggressiv vorgegangen“, was zum Abbruch des Marsches führte.
„Grundrechte sind mit Polizeistiefeln getreten worden“, lautet das Fazit der drei Anwältinnen des „RAV-Legal Teams“, das gerade wegen seines Engagements beim G8-Gipfel in Heiligendamm von der Internationalen Liga für Menschenrechte mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet worden ist und die Demo am Samstag beobachtet hatte. Das Vorgehen der Polizei sei eine „unverhältnismäßige demokratiefeindliche Demonstration von Staatsmacht“ gewesen, schimpft Heinecke. „Das war eine bedrohliche Ausweitung der Polizeimacht“, warnt auch der Staatsrechtler Norman Paech, der ebenfalls Nagels Ablösung für notwendig hält. „Wer so Gerichtsentscheidungen missachtet, gehört aus dem Verkehr gezogen.“
Vorausschauend hatten am Samstag das Verwaltungsgericht (VG) und Amtsgericht (AG) jeweils Eildienste eingerichtet. Der VG-Eildienst kam aber nicht zum Einsatz, da die Polizei die verhängten „Aufenthaltsverbote“ wegen des Gerichts im Nacken oft selbst wieder aufgehoben hatte. Deshalb schäumt CDU-Hardliner Karl-Heinz Warnholz. Eildienste zeigten „ein Misstrauen gegenüber der Polizei, den ich für unerträglich halte“.
Gleichzeitig zeigte der AG-Eildienst, wie sich richterliche Kontrolle bei einer Demonstration auswirken kann: So waren am Samstag 25 Protestler gegen 17 Uhr aus der City in eine Gefangenensammelstelle gebracht worden. Als der Amtsrichter gegen 20.30 Uhr erschien, um die „freiheitsentziehende Maßnahme“ zu überprüfen, seien laut Rechtsanwalt Dirk Audörsch „alle sofort freigelassen worden“.
Aber auch Juristen können schnell ins Visier der Staatsmacht geraten. So landete die Anwältin Ingrid Witte-Rohde, die in der City einer eingekesselten Mandantin helfen wollte, selbst eine Stunden im Gefangenentransporter. Sie habe angeblich eine „Amtshandlung behindert“. „Irgendwo hört’s auf“, so Witte-Rohde. „Ich stelle Strafantrag wegen Freiheitsberaubung.“