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Archiv-Artikel

Lasst sie arbeiten!

SOZIALES Marily Stroux porträtiert Geflüchtete in ihren erlernten Berufen – als Architektin, Friseurin und Melkmaschinenspezialist. Die Flucht selbst spielt keine Rolle. Das Haus der Kulturen der Welt zeigt ihre Fotos

Flüchtlinge und Arbeit

■ Im November 2014 wurden die Bedingungen der Arbeitsaufnahme für Flüchtlinge erleichtert. Sie dürfen nun nach dreimonatigem Aufenthalt in Deutschland Arbeit aufnehmen – aber nur, wenn für den Job kein Deutscher oder EU-Bürger zur Verfügung steht. Diese Einschränkung fällt erst nach 15 Monaten Aufenthalt weg.

■ Neben der Arbeitserlaubnis besteht für Flüchtlinge das Problem der Anerkennung ihrer ausländischen Berufsabschlüsse. Zwar hat die Änderung des „Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes“ (BQFG) im April 2012 für Erleichterungen gesorgt. Doch sind Anerkennungsprozesse meist langwierig, zudem fehlt es in vielen Bereichen der dualen Ausbildungsberufe an Nachqualifizierungsmöglichkeiten.

■ Auch für akademisch Qualifizierte steht vor der Anerkennung ihrer Hochschulabschlüsse der nötige Spracherwerb. (akw)

VON NINA APIN

Auf dem Foto trägt Asieh Parhizkar eine grüne Plastikhaube und einen Arztkittel. Lächelnd steht sie neben einem Arzt, gemeinsam beugen sie sich über das Gesicht einer Patientin. Das Bild, aufgenommen in einer plastisch-chirurgischen Praxis am Ku’damm, zeigt die Iranerin in ihrem gelernten Beruf – zumindest fast. Vor ihrer Flucht arbeitete die 43-Jährige in einem Krankenhaus, betrieb dann einen Schönheitssalon für Laser-Hautreinigung. Seit ihrer Ankunft in Deutschland vor elf Monaten ist Parhizkar nur noch Flüchtling. Ohne Beruf, ohne Arbeitserlaubnis. In der Praxis durfte sie ein paar Stunden hospitieren für ein Fotoprojekt, das Geflüchtete als Arbeitende zeigt.

„Haus Leo – Professions“ heißt die Ausstellung der Hamburger Fotografin Marily Stroux, die am Montag im Haus der Kulturen der Welt eröffnet hat. Im „Haus Leo“, einem Moabiter Flüchtlingswohnheim der Berliner Stadtmission, suchte Stroux nach Arbeitsbiografien und Kompetenzen. Und fand: einen syrischen Marketingexperten, eine iranische Innenarchitektin, einen afghanischen Teppichreparateur, eine somalische Reinigungskraft – insgesamt 16 Berufsfelder, die sie mit ihrer Ausstellung ins Zentrum der Erzählung rückt.

Die Fluchtgeschichten spielen in den Kurztexten unter den Fotos keine Rolle. „Es war mir wichtig, die Geflüchteten mit ihren Kompetenzen und mit ihrem beruflichen Selbstbild zu zeigen – etwas, das aus unserer öffentlichen Wahrnehmung konsequent ausgeblendet wird“, sagt Stroux, die zur Eröffnung angereist kam und sich selbst als Aktivistin bezeichnet. In Hamburg hatte sie begonnen, Lampedusa-Flüchtlinge in Arbeitssituationen zu fotografieren. Die gastgebenden Betriebe und Büros fand sie über einen Aufruf. Anders als die Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg haben die BewohnerInnen des „Haus Leo“ mehrheitlich eine Aufenthaltsgenehmigung, dürfen arbeiten. Einigen eröffnete das Fotoprojekt den Weg zu einem Praktikum oder gar einem Job. Für andere war es ein Lichtblick – die Hoffnung, zurückzukehren in eine Arbeitswelt, aus der sie herausgerissen wurden.

Die Fotoschau im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt entstand zusammen mit dem Projekt Berlin Mondiale, das geflüchtete Menschen mit Akteuren aus Kunst und Kultur zusammenbringt. Für die Ausstellung vermittelten sie unter anderem das Architekturbüro Chipperfield, die Komische Oper und ein Vier-Sterne-Hotel als Hospitanzgeber. „Geflüchtete sind oft isoliert in einer Parallelwelt aus Behördengängen und Alltagsbewältigung. Wir wollen ihnen eine neue Beziehung zur Stadt ermöglichen – und Hoffnung geben“, sagt Projektleiterin Katharina Rohde und zeigt auf das Foto, auf dem Asieh Parhizkar lächelt. „Sehen Sie den Stolz, der sich in der Körperhaltung ausdrückt? Wir alle werden durch Arbeit strukturiert. Verlieren wir sie, fühlen wir uns entwurzelt.“

Job-Projekte

■ In Berlin versucht das Projekt „Arrivo“, eine Kooperation der Handwerkskammer und des Jugendkulturprojekts „Schlesische 27“, vor allem junge männliche Flüchtlinge in handwerkliche Ausbildungen zu bringen. Sie durchlaufen zunächst Kurzpraktika bei Handwerksbetrieben, um Neigungen und Befähigungen festzustellen. Daneben bekommen sie Deutschunterricht. 19 Teilnehmer betreut Arrivo bisher, Arbeits- oder Ausbildungsverträge wurden bislang nicht abgeschlossen.

■ Das Projekt „Early Intervention“ der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge soll in Berlin mit zwei Mitarbeiterinnen insgesamt 200 Flüchtlinge während der ersten drei Monate ihres Aufenthalts, also noch vor Eintreten der Arbeitserlaubnis, bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen. Damit sollen frühzeitig Weichen gestellt werden. (akw)

So wie Forhan Ramazanali, der an diesem Montag etwas schüchtern vor seinem Foto steht. Die Aufnahme zeigt ihn ohne „Berufsumfeld“: Für den 32-jährigen Iraner, der seit sechs Monaten in Deutschland ist, hat sich keine Hospitanz gefunden: Ramazanali führte eine Fabrik für Melkmaschinen. Als er vor einem Jahr zum Christentum konvertierte, war sein Leben in Gefahr. Der Biotechniker, der fließend Deutsch spricht, floh nach Deutschland und landete in Berlin.

„Ich bin sehr glücklich, dass ich bei der Stadtmission wohnen kann“, betont er. Im „Haus Leo“ gehe man respektvoll miteinander um. Trotzdem deprimiere es ihn, seinen Beruf hier nicht ausüben zu können. Zu Hause war er angesehener Unternehmer – hier ist er ein Flüchtling unter vielen. Einen befristeten Ausweis hat er, aber keinen Pass. Ohne den bleibt ihm der Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten verwehrt. „5 Euro die Stunde hat man mir bei einem Sicherheitsunternehmen geboten“, erzählt er und fragt: „Ist das nicht eigentlich illegal?“

Für das Fotoprojekt hat sich Ramazanali mit einem Glas Milch in der Hand abbilden lassen. Vielleicht sieht es jemand – und bietet ihm einen Molkereijob an, hofft er. Selbst wenn es nur ein Praktikum wäre – „der Mensch braucht Arbeit“.

■ „Haus Leo – Professions“, Haus der Kulturen der Welt, bis 6. April