: Griff in die Kasse wegen Stress
JUSTIZ Verwaltungsmitarbeiter veruntreut 260.000 Euro, tritt aber im TV als Ordnungshüter auf
DER ANGEKLAGTE
Thomas M. gesteht alles. Ja, er habe innerhalb von vier Jahren exakt 264.085,61 Euro unterschlagen und veruntreut. Ein Schaden, der in vergleichbaren Fällen nicht mehr mit einer Bewährungsstrafe geahndet wurde. Am Donnerstag verlas der suspendierte Amtsrat vor dem Landgericht seine Erklärung. „Seit Anfang 2006 war ich überlastet“, sagt der 43-Jährige. Er leitete den Außendienst des Bezirksamtes Steglitz-Zehlendorf, außerdem noch die bezirkliche Straßenverkehrsbehörde und die Jugendverkehrsschulen. Letztere Tätigkeiten sollte er nur vorübergehend ausüben. Doch als man die dafür vorgesehene Stelle an die Wirtschaftsförderung abtrat, war davon keine Rede mehr.
Er sei täglich 13 bis 16 Stunden im Dienst gewesen, regelmäßig erschien er auch am Wochenende für einige Stunden. In den Urlaub fuhr er mit einem Diensthandy, um „jederzeit Entscheidungen treffen zu können“, so M. Mehrfach habe er die zuständige Stadträtin um Entlastung gebeten – nichts sei passiert. Nicht einmal einen Vertreter habe er gehabt. Seine Arbeit bezeichnet der Angeklagte als „Notfallmanagement“: „Ich habe nur erledigt, was unbedingt zu erledigen war.“ Trotzdem habe er sich noch ehrenamtlich engagiert, war als Dozent beschäftigt und agierte in der Doku-Soap des TV-Senders Kabel 1 „Mein Revier – Ordnungshüter räumen auf“. „Ich habe mich überschätzt“, bekundet M. Er habe nach Anerkennung gesucht.
Seit April 2006 habe er jedenfalls das im Ordnungsamt bar eingenommene Geld für Parkvignetten, Ausnahmegenehmigungen und Verwarnungen in einem Aktenschrank gesammelt, statt es sofort auf das Konto der Bezirkskasse einzuzahlen. Er habe davon zunächst „Dinge für den täglichen Gebrauch“ gekauft, den Fehlbetrag aber ausgleichen wollen. Bald habe er den Überblick über die entnommene Summe verloren. Es sei ihm unangenehm gewesen, das zu klären. „Da es so einfach war, machte ich weiter.“ Woche für Woche flossen bis zu 5.000 Euro in seine Tasche und von dort auf sein Konto mit der Betreffzeile „Honorar Kabel1“, als welches er die Einnahmen seiner ahnungslosen Frau verkaufte.
Das Geld, auf das er eigentlich nicht angewiesen war, habe er komplett für seinen „Lebenswandel“ verbraucht. Darunter versteht der stämmige Angeklagte gutes Essen und guten Wein. Entdeckte er eine Schramme in seinem Auto, habe er diese ausbessern lassen – ohne über die Kosten nachzudenken. Außerdem kaufte er viele Küchengeräte, eine riesige Weihnachtsbeleuchtung für Haus und Garten, Software, Abos für Bezahlfernsehen und Fitness-Studios, die er nicht einmal besuchte.
Als die 175-fache Serie mit 1.490,20 Euro begann, habe er damit gerechnet, sofort aufzufliegen. „Aber niemand kümmerte sich um den Verbleib der Gelder.“ Überhaupt war der Umgang damit im Ordnungsamt Steglitz-Zehlendorf sehr leichtfertig, so M. Es habe einen Tresor gegeben, „der nahezu immer offen gestanden“ habe. Nach mehr als vier Jahren gab es im August 2010 „direkte Nachfragen“ an M. „Da war mir klar, dass ich aufgeflogen bin.“ Er wurde festgenommen.
Den Schaden schätzte der gelernte Diplomverwaltungswirt zunächst auf 50.000 Euro. Bald musste er einsehen, wie gewaltig er sich irrte. Dennoch wolle er ihn wieder gutmachen: Derzeit betreibt M. einen Laden mit Geschenkartikeln. Seine Mutter habe ihm das Geld für das Geschäft zur Verfügung gestellt.
Der Prozess wird kommendes Jahr fortgesetzt. UTA EISENHARDT