: Getönte Sonnenblumen, Pardon, -brillen
Da stört es auch nicht, dass Tom Tykwer kein Sänger ist und keinen Ton trifft: Im Admiralspalast organisierte Regiekollege Wolfgang Becker das große Sgt.-Pepper-Reenactment „It was 40 Years ago Today – Sgt. Pepper Tribute“
Wer länger nicht in Berlin war oder einfach nur ein paar Jahre gepennt hat, mag sich zuweilen fragen, warum sich an gewissen Stellen der Stadt plötzlich große Menschentrauben bilden oder warum sogar noch immer neue Veranstaltungssäle entstehen. So der Admiralspalast an der Friedrichstraße, eine zugleich alte und neue Eventscheune beträchtlichen Ausmaßes.
Hier wurde nicht gekleckert, um in zentraler Lage den entscheidenden Standortvorteil, also das kulturelle Kapital der ansonsten kapitalarmen Hauptstadt abzuschöpfen. Die Investoren wollen den Geist der roaring twenties auferstehen lassen und antielitäres Amüsement zelebrieren, wie es im benachbarten Friedrichstadtpalast schon etwas länger geboten wird. Und man muss es einfach zugeben: Es funktioniert.
Wolfgang Becker, der durch „Good Bye Lenin“ weltberühmt gewordene Filmregisseur, hatte am Mittwochabend zu Konzert und Kostümparty geladen und Radio Eins dazu schon lange die Werbetrommel gerührt, unter anderem mit einer flächendeckenden Plakataktion. „It was 40 Years ago Today – Sgt. Pepper Tribute“ hieß das Motto, und die Bude war voll: mit einer durchaus lebendigen Parallelgesellschaft, lauter Normalverbraucher und wild entschlossen zu jeder Menge Spaß bei einem Ticketpreis von 26 Euro das Stück.
Mit angeklebtem Kinnbärtchen und Sgt.-Pepper-Dreispitz auf dem Kopf hätten einige auch zur „Fluch der Karibik“-Party erscheinen können; andere waren mit getönten Sonnenbrillen oder Sonnenblumen aus Plastik unterwegs. Summer of love mitten im Winter und bei aller Liebe ein Verdacht: Die Beatles mögen die größte Band aller Zeiten sein, Beatlesfans hingegen – zumal vereinsmäßig organisiert – gehören zum peinlichsten Menschenschlag, den man sich vorstellen kann.
Wolfgang Becker war dreizehn Jahre alt, als „Sgt. Pepper“ herauskam, und so hat er sich mit diesem „Trip ins Jahr 1967“ wohl einen Kindheitstraum erfüllt. Als „Sgt. Becker“ führte er eine friends and family band an, bestehend aus „befreundeten Musikern und musikalischen Freunden“. „Im Geist der Beatles“, aber ohne Rücksicht auf Verluste sollte das komplette Album von vorn bis hinten noch einmal durchgebolzt werden.
Da stört es nicht, dass Tom Tykwer kein Sänger ist und keinen Ton trifft. Auf die Brille, die Wildlederjacke und den rosa Riesenkragen kommt es schließlich an: „Lucy in the Sky with Diamonds“. Wolfgang Becker, der sich mit zauseligem Schnauz, Sonnenbrille und blauem Samtsakko vorwagte, sang und spielte irgendwie auf einer Gitarre: „With a Little Help from My Friends“. „Ist doch nur Spaß!“, ruft eine Frau in den Fünfzigern ihrem verstörten Begleiter ins Ohr.
Später sollten sich auch die Schauspieler Jana Pallaske und Burghart Klaußner am Mikrofon versuchen, sie zittrig fragil, er als rauchiger Rod Stewart. Den größten Applaus fuhren dann aber doch zwei Combos ein, die es zumindest musikalisch ernst meinen. Eine Blaskappelle namens Polkaholix, die das Stück „Being for the Benefit for Mr. Kite!“ ziemlich schmissig und ganz ohne Sänger über die Bühne brachte, und der CHORinMITTE, eine Gruppe von Laiensängern, die sich neben klassischem Chorrepertoire auch an A-cappella Versionen von Popmusikklassikern versucht.
In beiden Fällen merkte das Publikum wohl, dass die Darbietungen das Resultat eines gewissen Probenaufwands gewesen waren. Was aber hatte nur den Calexico-Gitarristen dazu bewogen, sich ebenfalls der Sgt.-Becker-Band anzuschließen? Kann es sein, dass er den frenetischen Applaus am Ende des Abends irgendwie peinlich berührt entgegennahm? Macht nichts. Mit seinem Reenactment eines Albums, dessen Konzept schon 1967 in einem fiktiven Liveauftritt einer fiktiven Band bestanden hatte, traf Wolfgang Becker am Mittwoch ins Schwarze wie mit „Good Bye Lenin“. Die Leute lieben das. RONALD DÜKER