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Archiv-Artikel

Die überschätzte Gefahr aus der Bevölkerung

PROTEST Richter: Verbot einer Demonstration gegen Nazis in Bad Nenndorf war rechtswidrig

HAMBURG taz | Das Verwaltungsgericht Hannover hat die Verbote gegen rechte Demonstrationen nachträglich für rechtswidrig erklärt. Das Bürgerbündnis „Bad Nenndorf ist bunt“ und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hätten im August 2010 in dem niedersächsischen Kurort gegen den sogenannten Trauermarsch von Neonazis demonstrieren dürfen. Das hat die 10. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover nach zweitägiger Beweisaufnahme entschieden. Eine diffuse Gefahrenprognose des Verfassungsschutzes, die niemand überprüfen könne, reiche nicht aus, um einen „polizeilichen Notstand“ zu begründen. Nur der hätte ein Verbot rechtfertigen können. Die Kammer korrigierte damit ihr eigenes Urteil aus dem vorigen Jahr.

Damals war in einem Eilverfahren das Verbot bestätigt worden, das der Landkreis Schaumburg über die Bürgerproteste, aber auch zunächst über den seit 2006 jährlich stattfindenden rechtsextremen Trauermarsch verhängt hatte. Letztendlich durften die Rechtsextremen durch Bad Nenndorf marschieren, dem DGB wurde lediglich eine stationäre Kundgebung am Stadtrand zugestanden.

Ursula Müller-Kratz, Ordnungsdezernentin des Kreises, war von einem „polizeilichen Notstand“ ausgegangen: Man habe nicht genügend Polizisten zur Verfügung, um beide Lager demonstrieren zu lassen.

„Ein polizeilicher Notstand ist nur dann gegeben, wenn nicht genügend Polizeikräfte vorhanden sind, um die Lage zu beherrschen“, sagt Gerichtssprecherin Antje Niewisch-Lennartz. Das aber wäre durchaus möglich gewesen, „wenn man sich rechtzeitig Mühe gegeben hätte, Polizeireserven zu mobilisieren“.

In dem Verfahren vernahm das Verwaltungsgericht mehrere Zeugen, darunter den Vizepräsidenten des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Es gelangte zu der Einschätzung, dass die damaligen Gefahrenprognosen von Inlandsgeheimdienst sowie polizeilichen Staatsschutz fehlerhaft beziehungsweise nicht nachprüfbar gewesen seien. Darin hatte es damals geheißen, neben 250 militanten autonomen Nationalisten würden auch 500 „gewaltbereite Linksextremisten“ anreisen und schwere Ausschreitungen provozieren wollten. In der Tat fand sich aber die „Gespensterarmee“ aus militanten Autonomen am 14. August 2010 dann nicht in Bad Nenndorf ein. Ordnungsdezernentin Müller-Kratz hatte ihre beiden Verbotsverfügungen aber ausschließlich auf diese Gefahrenprognose gestützt.

In dem Verfahren seien den Richtern viele Akten verschlossen geblieben, so die Gerichtssprecherin, „weil sie mit einem Sperrvermerk des Innenministeriums versehen sind“ und sich auch der stellvertretende Verfassungsschutzchef zu Quellen der Prognose nicht geäußert habe. Aber auch ohne Überprüfung der Prognose kam das Gericht zu der Überzeugung, dass 1.800 niedersächsische Polzisten zur Verfügung gestanden hätten, um den möglichen Gefahren zu begegnen. KAI VON APPEN