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Archiv-Artikel

Der Nabel der Welt

OSTERINSEL Die winzige Insel mit den Steinfiguren fasziniert noch immer – 293 Jahre nach ihrer Entdeckung

Reisetipps

■ Anreise: Zum Beispiel mit der Air France von verschiedenen deutschen Flughäfen via Paris nach Santiago (Chile). Von dort weiter mit LAN Airlines.

■ Einreise: Besucher dürfen höchstens 90 Tage bleiben. Der Reisepass muss mindestens sechs Monate gültig sein.

■ Beste Reisezeit: Dezember bis März; die Temperatur liegt dann bei etwa 28 Grad Celsius; subtropisches Klima; der meiste Niederschlag fällt im Mai.

■ Reisearrangements: Der Reiseveranstalter Gebeco bietet ein Zusatzprogramm Osterinsel: www.gebeco.de

■ Übernachtung: Für Individualreise ist das Explora Hotel Posada de Mike Rapu zu empfehlen. 3 Übernachtungen, Vollverpflegung, Getränke, mehrsprachige geführte Ausflüge und Transfers kosten ca. 1.220 Euro im Doppelzimmer; www.explora.com

■ Allgemeine Informationen: In Deutsch: www.chileinfo.de, oder www.osterinsel-freunde.de, Infos in English: www.gochile.cl

VON MICHAEL MAREK UND SASKIA GUNTERMANN

Rund 10.000 Meter über dem Pazifischen Ozean: Wir starren aus dem Flugzeugfenster: Wasser, wohin das Auge reicht. Was, wenn der Pilot an dem winzigen Eiland vorbeifliegt? Reicht der Treibstoff notfalls für den Rückweg nach Santiago de Chile?

Als die Maschine zum Landen ansetzt, reißen die tief hängenden Wolken endlich auf und geben den Blick frei auf ein Felsdreieck inmitten des Südpazifiks. Der einsamste Ort der Welt, so wird die Osterinsel gern bezeichnet. Die Linienmaschine aus der chilenischen Hauptstadt braucht für den Flug vom südamerikanischen Festland über das offene Meer fast fünf Stunden. Rapa Nui, entferntes Land, so heißt die Osterinsel bei ihren Bewohnern. Oder Te Pito O Te Henua – Bauchnabel der Welt.

Am nächsten Morgen treffen wir Uri Avaka Teao. Die Osterinsulanerin entspricht ganz und gar dem Klischee einer Südseeschönheit: langes schwarzes Haar, groß gewachsen, braune Augen und weiche Gesichtszüge. Rapa Nui, so nennen die Insulaner sich und ihre Sprache, erklärt uns Uri. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass es sich um einen polynesischen Dialekt handelt. Heute wird er als Pflichtfach in der einzigen Schule der Insel unterrichtet, obwohl Spanisch die offizielle Landessprache ist. Denn die Osterinsel gehört politisch zu Chile, den Insulanern bleibt das Privileg der eigenen Sprache. Englisch sprechen nur wenige Einheimische.

So groß wie Wuppertal

163 Quadratkilometer misst die Osterinsel. Das entspricht in etwa der Fläche von Washington D. C., dem Fürstentum Liechtenstein oder Wuppertal. Mehrmals im Jahr läuft ein chilenisches Versorgungsschiff die Insel an und bringt Treibstoff, den die Flugzeuge für ihren Rückflug ebenso brauchen wie der Dieselgenerator, der die Insel mit Strom versorgt. Alle Dinge des täglichen Lebens, sagt Uri, müsse man importieren: jede Limonadenflasche, alle Arzneimittel und jeden Geländewagen.

Dabei waren noch bis vor einigen Jahren Pferde das bevorzugte Fortbewegungsmittel auf der Osterinsel. Mittlerweile gibt es rund 1.000 Autos, jede Menge Motorräder und Mopeds. Die wichtigsten Straßen sind gepflastert, ansonsten bedeckt feiner roter Vulkanstaub die Wege. Aber die Pferde gehören weiterhin zum Alltag. Man schätzt, dass 12.000 verstreut auf der Insel grasen, man begegnet ihnen praktisch überall. Die Tiere sind Statussymbole – vor allem für die wild aussehenden jungen Männer, die mit langen Haaren auf ihren Rössern umherreiten.

Unser morgendlicher Ausflug beginnt in Hanga Roa, dem einzigen Ort der Insel. In dem kleinen Dörfchen leben 4.000 Rapa Nui. Ihre Häuser stehen am Ortsrand, die meisten aus Hohlblocksteinen gemauert oder zusammengenagelt aus Pressspan und Wellblech. Dagegen sendet Radio Manukena aus einem gemauerten Bungalow. Drei Personen arbeiten für den Lokalsender. Das Studio wirkt improvisiert und schon etwas heruntergekommen. Dafür ist Radio Manukena täglich von 8 bis 22 Uhr on air. Gesendet wird auf Spanisch und Rapa Nui, erzählt uns Catalina Tuki.

Die korpulente Endvierzigerin hat ihr langes schwarzes Haar hochgesteckt. Catalina ist die Stimme der Osterinsel: Moderatorin, Redakteurin, Cutterin und „Seelenbriefkasten“ in einer Person. Nachrichten und Veranstaltungshinweise liest sie mit energischer Stimme, Grußbotschaften schickt sie mit Temperament und Wärme in den Äther. Dazwischen läuft traditionelle polynesische Musik. Fröhlicher Ukulelen-Sound. Musik ist wichtiger als das Wort, sagt Catalina Tuki.

Mitten im Satz klingelt im Regieraum das Telefon. Ein junger Mann ist in der Leitung und erzählt ihr, seine Mutter habe heute Geburtstag. Er möchte sie grüßen und ihr gratulieren. Tuki notiert alles, dann geht sie auf Sendung, und schon weiß jeder auf der Osterinsel, wo heute Abend eine Feier stattfinden wird. Nachbarschaftsradio – unterstützt von der Unesco und Radio Niederlande.

Völkerkundler und Archäologen haben nachgewiesen, dass die Osterinsel von der polynesischen Inselwelt aus, also vom Westen her, besiedelt wurde. Der Zeitpunkt ist umstritten, vermutlich im 8. Jahrhundert. Obwohl man damals in Polynesien weder Kompass noch Schriftsprache oder Metallwerkzeuge kannte, waren die Inselbewohner Meister der Navigation. Und der Seefahrt mit ihren Kanus. Ungefähr um 1200 nach Christus hatten sich die Polynesier in dem riesigen Ozeandreieck zwischen Hawaii, Neuseeland und der Osterinsel auf jedem bewohnbaren Fleckchen Land niedergelassen. Heute ist man sicher, dass auch die Besiedlung der Osterinsel sorgfältig geplant war. Das zeigt auch die Ausbreitung vieler Nutzpflanzen und Tierarten – von Bananen, Schweinen bis zu Hunden und Hühnern. Die Siedler nahmen aus ihrer polynesischen Heimat jene Produkte mit, die ihnen für das Überleben in der neuen Kolonie unentbehrlich erschienen.

Süßwasser ist rar

Rötlich-schwarz glimmt das vulkanische Gestein, frisches Gras überzieht das hügelige Eiland. Das Klima auf der Osterinsel ist mild. Doch es gibt nur wenig Süßwasser, zwei Vulkanseen, kein einziges Bächlein fließt hier. Wenn es mal regnet, versickert das Wasser schnell in dem porösen Vulkanboden. Auch deswegen präsentiert sich das Eiland am Ende der Welt fast baum- und strauchlos. Doch seit Jahrzehnten versucht man das zu ändern:

Vor knapp zehn Jahren hat die chilenische Forstbehörde Conaf damit begonnen, den salzresistenten Aito-Baum auf der Osterinsel anzupflanzen, erzählt Jorge Alejandro Edmunds, 35.

Gemeinsam mit seinen Kollegen untersucht der Wissenschaftler, warum auf der Osterinsel kaum etwas anwächst – und ob es neben dem Aito-Baum noch andere Baumarten gibt, die hier zur Wiederaufforstung geeignet sind.

„Die starken Winde tragen alles an Mineralien fort, die die Bäume zum Überleben so dringend brauchen“, erklärt Edmunds. Die Sonne scheine hier zwölf Stunden täglich. Hinzu käme die Gischt des Ozeans, die mit ihrem salzigen Wasser die frischen Setzlinge bedecke, so der Biologe. Trotzdem: 70.000 Bäume haben bisher einen Platz in dem kargen Osterinselboden gefunden. Aber über 200.000 sind nötig, um die voranschreitende Erosion zumindest aufzuhalten. Eine Sisyphusarbeit: „Seit 2006 haben wir jetzt die Bäume, die bereits fünf bis sechs Meter gewachsen sind. Überlegen Sie einmal, fünf Meter! Der Boden der Osterinsel ist sehr mager, es gibt keinerlei Mineralien. Wir brauchen also Dünger zum Wiederaufforsten.“

Wissenschafter haben nachgewiesen, dass die Insel bis zum 17. Jahrhundert von Wäldern bedeckt war. Sie wurden von den Vorfahren der heutigen Osterinsulaner abgeholzt, um die Moai, die steinernen Statuen, zu transportieren, um Kanus und Häuser zu bauen und um die Toten zu verbrennen.

Als im 18. Jahrhundert die Insel von den Europäern entdeckt wurde, war das Eiland baumlos: „Meine Vorfahren waren davon besessen, diese Statuen zu bauen“, ergänzt Uri Avaka Teao, „nur um den anderen Stämmen zu beweisen, wie mächtig sie waren. Es war eine Katastrophe. Sie vergaßen darüber sogar, für Nahrung zu sorgen, Fische zu fangen oder Gemüse anzubauen. Sie haben sich nur auf ihre Statuen-Manie konzentriert.“

Von einem Ökozid spricht der US-Geograf Jared Diamond in seinem Bestseller „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“. Und so hat sich für Diamond der Untergang auf der Osterinsel abgespielt: Um 1600, so Diamond, sei vermutlich der letzte Baum gefällt worden. Von da ab fehlte nicht nur der wichtigste Rohstoff, um die Steinriesen aus dem Steinbruch zu rollen; es gab kein Feuerholz mehr und keinen Werkstoff für die Kanus, um auf das Meer zum Fischen zu fahren. Die küstennahen Gebiete wurden schnell überfischt und die Vögel ausgerottet. Durch den Kahlschlag war der Ackerboden dem Regen und den kräftigen Passatwinden schutzlos ausgesetzt.

Was folgte, waren zunehmende Bodenerosion und Nahrungsmittelknappheit. Um die wenigen Ressourcen wurden Kriege geführt. Am Ende aßen die Insulaner Menschenfleisch.

Heute gibt es wieder einige Waldgebiete, erklärt Biologe Edmunds, die überwiegend aus Eukalyptusbäumen bestehen. Die ersten wurden um 1900 gepflanzt und dann später in den 1970er Jahren. Der sei nicht gut für die Insel, resümiert Edmunds, schließlich verbrauche er zu viel des kostbaren Grundwassers. Außerdem stamme er aus Australien und passe so gar nicht zur Osterinsel. Auch deshalb habe man seit 2006 begonnen, die südwestliche Inselspitze mit dem Aito, dem Eisenbaum, aufzuforsten. Aber Touristen kommen nicht wegen der Bäume, sondern wegen der Statuen aus Stein, den Moai. Die riesigen Köpfe und Oberkörper ohne Unterleib versetzten die Europäer in Verblüffung, seit Jacob Roggeveen 1722 das Eiland entdeckte. Der niederländische Kapitän war im Auftrag der westindischen Handelsgesellschaft mit drei großen Segelschiffen unterwegs, als er am Ostersonntag des 5. April eine Insel sichtete.

Heute finden sich in dem einzigen Ort der Insel nur wenige Spuren der alten polynesischen Kultur. Das Bild bestimmen zahllose Restaurants, Bars und Cybercafés. Auf den Terrassen räkeln sich Urlauber in der Sonne, während sie auf den nächsten organisierten Ausflug warten. Die unzähligen Souvenirläden gehören ebenso zum Ortsbild wie der Supermarkt, das Postamt und die katholische Kirche.

Tanz und Musik

Abends dagegen schlagen Trommeln in rasendem Rhythmus. Köpfe wippen im Federschmuck und unter Blütenkronen. Auf der von Schweiß überzogenen Haut beginnt die Bemalung aus Erdfarben zu rinnen. 1998 wurde die Gruppe „Kari Kari“ gegründet. Die Tänzer und Musiker spielen das ganze Jahr über in den größeren Hotels für die Touristen. Sogar in Europa, Nord- und Südamerika ist die vielköpfige Kompanie schon aufgetreten.

Ihre polynesische Abstammung sieht man ihnen auf den ersten Blick an. Sie wirken wie Figuren aus den Tahiti-Gemälden des Malers Paul Gauguin. „Wir wissen nicht mit Bestimmtheit, von welcher Insel wir kommen. Aber wir stammen ganz sicher von einer der polynesischen Inseln“, erläutert Uri Avaka Teaosie mit einem verschmitzten Lächeln.

„Wenn wir zum Beispiel in Europa sind, weit weg von zu Hause, und wenn wir dort zufällig jemanden aus Polynesien treffen, auch wenn wir nicht wissen, woher diese Person kommt, dann spüren wir sofort, dass sie von irgendeiner Insel Polynesiens stammt. Wir wissen auch nicht, wie das funktioniert, aber wir haben es einfach im Blut.“

Durch den Kahlschlag war der Boden dem Regen und den kräftigen Passatwinden schutzlos ausgesetzt

Die Tickets sind teuer, die Fluggesellschaft LAN besitzt ein Monopol auf diesen Strecken und verbindet die Osterinsel mit dem Rest der Welt. Der Flugplatz wurde einst mit US-amerikanischen Geldern ausgebaut und diente den Spaceshuttles als Notfalllandebahn.

Knapp 50.000 Besucher kommen jährlich, vor allem aus den USA, Chile und Großbritannien. Sie sind die einzige Verdienstquelle für die Rapa Nui. „Für viele Reisende ist die Insel eine Art Traum. Die meisten haben schon als Jugendliche von ihr gehört“, erzählt Giovanna Raineri. Die 45-jährige Chilenin mit italienischen Vorfahren ist Managerin des einzigen Öko-Luxushotels.

Erst vor einigen Jahren, so Rainieri, habe der chilenische Staat den auf der Insel geborenen Rapa Nui ihr Land zurückgegeben. Seitdem darf das Land nur an andere Rapa Nui verkauft werden. Ausländer und Festland-Chilenen können auf der Osterinsel lediglich mieten. Das gilt auch für das Explora Hotel. Rund 4 Millionen US-Dollar habe der chilenische Hotelier in den modernen, umweltverträglichen Bau mit eigener Kläranlage und eigenem Brunnen investiert. 20 Jahre lang dürfe er Haus und Land bewirtschaften, dann gehört es wieder Mike Rapu, einem Rapa Nui.

Bald nur eine Minderheit

Mittlerweile entdecken viele Chilenen die Osterinsel als steuerfreies Paradies mit wenig Kriminalität, bilanziert Rainieri. Man gehe davon aus, dass sich in den nächsten Jahren die Einwohnerzahl verdoppeln werde. Dann werden die „Contis“, die zugewanderten Chilenen, wie die Rapa-Nui sie nennen, in der Mehrheit sein. Aber wie viele Touristen, Zuzügler, Geländewagen und vor allem wie viel Müll kann die Insel noch verkraften? Kann das ökologische Gleichgewicht noch einmal kippen wie vor 400 Jahren?

Dabei ist das Leben auf der Osterinsel alles andere als günstig – die 3.800 Kilometer Entfernung von Santiago de Chile prägen das Preis-Leistungs-Verhältnis. Seit der US-amerikanische Regisseur und Schauspieler Kevin Costner 1995 die Geschichte des verlorenen Paradieses auf die Kinoleinwand bannte, habe sich vieles verändert, sagen die Rapa Nui.

Viele Insulaner bekamen damals kurzfristig einen gut bezahlten Job, als der Hollywoodstar auf der Insel drehte. Der Film ist nah an der Wirklichkeit, findet Archäologe Claudio Christino, viele Insulaner seien stolz, daran mitgewirkt zu haben, aber richtig gemocht habe das Epos um Liebe und Tod hier niemand. Denn es waren neuseeländische Maoris, die in den Hauptrollen spielten. Den Rapa Nui blieb wie so oft in der Inselgeschichte nur die Statistenrolle.

Der Drogenkonsum habe mit dem expandierenden Tourismus zugenommen, das größte Problem sei aber die Perspektivlosigkeit der Jugendlichen, sagt uns Uri Avaka Teao beim Abschied, auch wenn sich viele noch immer der polynesischen Inselwelt zugehörig fühlen: „Für die Zukunft wünsche ich mir, unseren Kindern zu lehren, wie man unsere polynesische Kultur am Leben erhält“, so Uri.

„Wenn du noch jung bist, dann willst du nur weg. Du musst weggehen, damit du dein Zuhause schätzen lernst, und dann willst du wieder zurückkommen.“