: Mini-Kloster im Konzentrationslager
Vier Franziskanerinnen haben im ehemaligen Emsland-Lager Esterwegen ein Konvent gegründet. Sie wollen Besuchern der Gedenkstätte helfen, ihre Erlebnisse emotional zu bewältigen. Während Häftlinge starben, genossen Bewacher das Leben
Das Lager Esterwegen war eines der ersten Konzentrationslager in Deutschland. 1933 errichtet, wurden dort Gegner des nationalsozialistischen Regimes in „Schutzhaft“ genommen, darunter der spätere Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky. Später waren dort Strafgefangene inhaftiert und ab 1943 bis zu 2.700 Widerstandskämpfer aus dem besetzten Westeuropa. Das Lager wurde am 10. April 1945 aufgelöst. Nach dem Krieg war es Kriegsgefangenenlager, Strafanstalt, Flüchtlingslager und beherbergte von 1963 an ein Bekleidungs- und Sanitäts-Depot der Bundeswehr. Das Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager in Papenburg bietet Führungen an. In den kommenden drei Jahren soll das Lager zu einer Gedenkstätte ausgebaut werden. Das Franziskanerinnen-Kloster wurde am 19. Oktober 2007 vom Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode eingeweiht. Die Schwestern sollen „in absichtsloser Präsenz“ für Besucher da sein. FEZ
VON FELIX ZIMMERMANN
Das Haus duckt sich, als wolle es nicht auffallen. Damit sei es wie geschaffen für ihr kleines Franziskanerinnen-Konvent, sagt Schwester Jacintha, die Oberin des Mini-Klosters in Esterwegen. Der Name steht weniger für ein schmuckes Dorf bei Papenburg als für das bekannteste der 15 Emsland-Lager der Nazis. Hier wurden 30.000 Menschen ermordet: geschunden, zerbrochen und ausgebeutet. Das berühmte Moorsoldaten-Lied aus dem benachbarten Lager Börgermoor erzählt davon: „Hier in dieser öden Heide ist das Lager aufgebaut, wo wir fern von jeder Freude hinter Stacheldraht verstaut. Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor!“
Jacintha und ihre drei Mitschwestern wollen sich nicht aufdrängen. Sie wollen einfach nur da sein, einen Ort „absichtsloser Präsenz“ bilden, wie es der Generalvikar der Diözese Osnabrück, Theo Paul, gesagt hat. Er hatte die Idee, am Rande des ehemaligen Konzentrationslager ein Konvent anzusiedeln, und nachdem man eine Zeit über das Gelände gestreift ist, denkt man: Es ist gut, dass es da jetzt so etwas gibt – etwas, wo man hingehen kann, wo Menschen sind, die zuhören, wenn man reden will, die aber auch schweigen, wenn man schweigen will.
Der Wind pfeift nur so durch die lange, kahle Lagerstraße, an der sich die Baracken der Häftlinge aufreihten. Hier wurden sie geschunden. Hier starben Tausende, während ihre Bewacher in einem anderen Teil des Lagers das Leben genossen. Sie hechteten vom Sprungturm eines beheizten Freibades, erfreuten sich am Plätschern eines Springbrunnens oder ergingen sich in einem verschwiegenen Park.
So zynisch ist dieser Ort ist: Die Reste des Springbrunnens und die hohen Bäume, die in einer seltsam viereckigen Anordnung stehen, weil sie damals um eines der Häuser der Wachmannschaften gesetzt wurden, machen diese Unbeschwertheit noch immer spürbar. Nur wenige Meter weiter war das Leben schon kein Leben mehr.
Man muss hier einiges verarbeiten. Wenn da jetzt niemand wäre, fühlte man sich allein. Lange war hier niemand, das Lager stand für sich, begleitet zwar vom Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager in Papenburg, aber eben nicht direkt an diesem Ort. Nebenan hatte die Bundeswehr 1963 ein Sanitätsdepot eingerichtet, und in dessen ehemaliges Verwaltungsgebäude ist nun der kleine Konvent eingezogen.
So flach, wie das Haus damals gebaut wurde, scheint es mühelos auch diese neue Aufgabe erfüllen zu können, von der Schwester Jacintha gesprochen hat: ein unaufdringliches Da-Sein für die Besucher des ehemaligen Lagers, falls die es wünschen. Auf der einen Seite haben die Schwestern ihre Wohnräume, auf der anderen Seite ist der Ort des Gedenkens.
In dessen Vorraum stehen drei Betonblöcke im Torf. An die Wand sind die Verse des Moorsoldaten-Liedes geschrieben. Es soll Mahnung sein, aber auch Erinnerung an die Standhaftigkeit der Menschen, die dort als Kriegsgefangene und Widerstandskämpfer gequält wurden. In den beiden Räumen dahinter liegen klar voneinander getrennt eine Kapelle und der „Raum der Sprachlosigkeit“.
Schwere Eichenblöcke stehen dort als Bänke, in der Mitte eine Kreuzung aus Moorbahnschienen auf einer hölzernen Plattform, dahinter eine eichene Lore – denen nachempfunden, die im Moor benutzt wurden. Ein stiller Raum ist das, diffus durch eine halbtransparente Wand mit der Umgebung verbunden. Er blendet die Brutalität nicht aus, und ermöglicht zugleich ein In-sich-Gehen, das viele hier zu brauchen scheinen, jedenfalls liest sich so das Besucherbuch, das am Eingang ausliegt.
„Wir wollten bewusst kein christliches Symbol hier“, sagt Schwester Jacintha, denn das soll der Raum für alle sein, unabhängig davon, ob oder an was sie glauben. Mit einer Ausnahme: Weil der montägliche Gottesdienst stets so gut besucht ist, dass die Kapelle nebenan zu klein wäre, findet er im „Raum der Sprachlosigkeit“ statt. Dann mag, wer will, im Schienenkreuz ein christliches Kreuz sehen.
Schwester Jacintha stammt aus dem holländischen Friesland. Die 68-Jährige hat sozialtherapeutische Wohngruppen betreut und sich viele Jahre um Ordensschwestern gekümmert, die von Medikamenten und Alkohol abhängig waren. Sie hat sich bewusst für Esterwegen entschieden, weil sie noch einmal eine andere Aufgabe übernehmen wollte.
Eine Aufgabe sei das, sagt sie, mit der sie alt werden wolle. Sie erzählt von der Begegnung mit zwei Juden, die früher in der Gegend lebten und Deutschland verlassen mussten. Dass sie heute immer mal wieder herkämen, auch ins Lager, und Freundschaft zu den heutigen Bewohnern ihres alten Dorfes geschlossen hätten. „Das hat mich tief bewegt“, sagt sie – auch, weil es ein Zeichen für die Kraft der Versöhnung sei, an die man gerade an diesem Ort kaum glauben kann.