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Archiv-Artikel

„Einfach weiter praktiziert“

VORTRAG Welche Rolle die Ärzte im KZ Neuengamme spielten – und was aus ihnen wurde

Von VAR
Sven Fritz

■ 34, hat Geschichte, Musikwissenschaft und Volkskunde in Hamburg studiert. Derzeit promoviert er an der FU Berlin.

taz: Herr Fritz, wie sehen Sie die Ärzte des Konzentrationslagers Neuengamme?

Sven Fritz: Als Teil der Konzentrationslager-SS – und damit als Nazi-Täter. Die KZ-Ärzte waren ganz normale Männer aus der Mitte der Gesellschaft, die durch ihren Dienst in der SS und in den Konzentrationslagern aktiv Verbrechen verübten.

Welches waren ihre Aufgaben?

Sie waren Teil des Systems der „Vernichtung durch Arbeit“ und hatten dafür zu sorgen, dass genügend Häftlinge als Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Kranke und arbeitsunfähige Häftlinge wurden von ihnen in andere Lager ausgesondert oder direkt vor Ort getötet. Allein in Neuengamme wurden etwa 1.000 Häftlinge durch Injektionen ermordet. Außerdem waren sie für die Seuchenbekämpfung zuständig, was jedoch meist bedeutete, dass man die Kranken isolierte und sterben ließ.

Haben die Ärzte auch Vergasungen beaufsichtigt?

Ja, die SS-Ärzte haben auch die zwei in Neuengamme durchgeführten Mordaktionen durch Giftgas angeleitet und überwacht. Zudem waren sie die Verwalter des Mordens: Es waren Ärzte, die die gefälschten Totenscheine unterschrieben und so den Massenmord tarnten.

Wurden in Neuengamme Versuche mit Menschen durchgeführt?

Ja, es gab auch Experimente. Das wahrscheinlich bekannteste ist die Versuchsreihe des Doktor Heißmeyer. Er war nicht in Neuengamme als Lagerarzt tätig, hat aber – unter Mitwirkung von Neuengammer SS-Ärzten – an Häftlingen, die von Ausschwitz nach Neuengamme überführt worden waren, Experimente durchgeführt.

Was wurde aus diesen Menschen?

Als die alliierte Front näher rückte, wurden diese Häftlinge umgebracht. Unter ihnen befanden sich auch 20 Kinder.

Was ist nach dem Krieg aus den Neuengammer Ärzten geworden?

Eigentlich sind alle wieder untergekommen. Ich habe für Neuengamme 22 Ärzte ausgemacht, es dürften aber mehr gewesen sein. Sechs überlebten – zum größten Teil aufgrund von Selbstmord – das Kriegsende nicht. Drei wurden von alliierten Gerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Rest hat einfach weiter praktiziert: in Krankenhäusern, als niedergelassene Ärzte oder als Medizinalbeamte mit hohen Pensionen.  INTERVIEW: VAR

Vortrag „Die SS-Ärzte des KZ Neuengamme. Praktiken und Karriereverläufe“: 18 Uhr, Medizinhistorisches Museum, Martinistraße 52