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Archiv-Artikel

„Nu sünd ji dran“

Die Grundschule Simonswolde ist als einzige Schule in Niedersachsen von der ersten Klasse an bilingual

Ostfriesland kann sehr ungemütlich sein. Vor allem draußen. Schon jetzt treibt ein heftiger Wind Regen vor sich her, mühsam stemmen sich die eh schon geduckten Bäumchen dagegen, während der Bauer von nebenan schon einmal die Schwarzbunten in den Stall treibt. Vorsorglich, denn für den späteren Nachmittag ist eine Sturmflut angesagt. „Gut, dass Schule drinnen ist“, ruft ein Junge. Der Junge sitzt mit 21 anderen Kindern im Alter von sieben und acht Jahren in der Grundschule Simonswolde und hat Matheunterricht. Da ist es gemütlich, warm und trocken, aber was draußen aussieht wie Ostfriesland, setzt sich da drinnen akustisch fort, denn da wird die Sprache dieses stets platten, oft nassen und auf jeden Fall sturmerprobten Landes gelernt. Die Grundschule Simonswolde im Landkreis Aurich ist die einzige Schule in Niedersachsen, in der von der ersten Klasse an bilingual unterrichtet wird: Hochdeutsch und Plattdütsk. Neuerdings in Zusammenarbeit mit der Ostfriesischen Landschaft in Aurich, die den Unterricht auswertet.

Die Idee dazu ging aus einem EU-Projekt zur frühen Mehrsprachigkeit hervor, und das lief so gut, dass die Schule weitermachte und jetzt bereits die zweite Schülergeneration zweisprachig lernt. Neben Mathe wird in Klasse 2a der Simonswolder Grundschule auch im Sachunterricht und in Religion nur platt gesprochen.

Gerade sind die Kinder dabei, fehlende oder falsche Zahlen in Zahlenreihen zu finden. Grete Saathoff, die Lehrerin, hat die Aufgabe erklärt, dann sagt sie: „Nu sünd ji dran“, und die Kinder legen los. Matthias ist als Erster fertig und klemmt sich den Stift hinters Ohr, ein Mädchen ruft: „Hier fehlt gar keine Zahl“, was nun gar nicht plattdeutsch klingt, aber Frau Saathoff geht zu ihr und hilft. Das dann wieder up Platt, da ist sie ganz konsequent, denn darum geht es ihr: Dass die Kinder in eine Art Bad eingetaucht werden, das nur aus plattdeutschen Wörtern besteht. Das nennt man Immersionsmethode, der Effekt ist – längst wissenschaftlich bewiesen – das selbständige Aneignen einer fremden Sprache.

Ihre Erfahrungen mit der Methode sind „kurz und bündig gesagt prima“, sagt Saathoff. Als sie damit anfing, waren einige Eltern noch skeptisch. Plattdeutsch heftet auch in Ostfriesland mitunter noch der Ruf an, die Sprache der Deppen zu sein. In den 60er und 70er Jahren war die Sprache geradezu verpönt, galt als hinderlich für das Fortkommen gar. Hochdeutsch musste es sein, nur Hochdeutsch. Saathoff selbst wuchs zweisprachig auf, und irgendwann dämmerte es ihr, dass da ein Schatz verloren gehen würde, wenn keiner mehr Platt sprechen könnte. Also wurde sie zur Überzeugungstäterin, zuerst, um die Sprache zu retten, und heute vor allem, „weil es gut für die Kinder ist“. Die Erfahrungen haben gezeigt, dass die bilingual belehrten Kinder auch in anderen Fächern schneller mehr aufnehmen. „Und erst recht beim Erlernen weiterer Fremdsprachen tun sie sich leichter“, sagt Saathoff. Studien etwa der Universität Oldenburg belegen das. Und die Eltern sind längst ebenso überzeugt vom zweisprachigen Unterricht. Spielend könne die Grundschule jedes Jahr eine neue Hochdeutsch-Plattdeutsch-Klasse füllen, sagt Schulleiterin Mareka Hillerns.

Inzwischen dürfte auch Lilli Gökens Mutter überzeugt sein. Lilli ist eins von den Kindern, dass kein Platt konnte, weil zwar der Vater Ostfriese ist, aber die Mutter aus dem Schwäbischen stammt. Zu Hause wird kein Platt gesprochen, und die Mutter, sagt Lilli, habe „Angst gehabt, dass sie mich nicht mehr versteht“. Als die dann aber sah, wie Lilli ganz allein bei einer Schulaufführung in der Pausenhalle das Laternenumzugslied „Kipp Kapp Kögel“ sang, in dem „Mamas groode Maid mit Kipp Kapp Kögel geiht“, da war sie wohl nicht nur stolz, sondern wusste längst, dass ihre Sorge trotz dieser fortgeschrittenen Fremdsprachenkenntnisse der siebenjährigen Tochter nicht besteht: Denn mit der Mutter spricht Lilli „nur Hochdeutsch“, Platt dafür inzwischen ganz flott mit den Großeltern. Und der Opa, findet sie, sei „der Beste Plattdeutschsprecher“ der Gegend. Keno Reiter kam mit einem anderen Erfahrungsschatz in die Klasse: Der Achtjährige, sagt Saathoff, ist ein richtiger Plattdeutscher, denn bei ihm zu Hause wird fast nur Platt gesprochen, wie in vielen Familien in Simonswolde. Neulich etwa tauchte in einer Geschichte, die Frau Saathoff vorlas, ein Katteker auf, „da dachte ich: komisches Wort“, sagt Keno. Jetzt weiß er, dass es Eichhörnchen bedeutet. Das Beispiel Simonswolde, findet Frau Saathoff, sollte Schule machen. Zwei ihrer Schwestern sind auch Grundschullehrerinnen, die bekniet sie, es ihr gleichzutun, weil sie jeden Tag sieht, wie viel Spaß es den Kindern macht, und weil sie ahnt, das so dem Pisa-Schock ein Schnippchen geschlagen werden könnte. Das Problem aber liegt weit weg von Simonswolde. In Hannover, dem Sitz der Landesregierung, scheint man vom Vorteil des bilingualen Unterrichts noch nicht restlos überzeugt zu sein. Da wirke das alte Vorurteil gegenüber Plattdeutsch immer noch nach, heißt es bei der Ostfriesischen Landschaft. Lehrer für das Fach würden derzeit erst gar nicht ausgebildet.

Das könnte sich allerdings schon bald ändern, denn an der Universität Oldenburg wurde ein Lehrstuhl für Soziolinguistik eingerichtet, der sich auch mit der niederdeutschen Sprache beschäftigen soll. Zwar kritisierte das Bremer Institut für niederdeutsche Sprache den Lehrstuhl als faulen Kompromiss, da er den 2005 geschlossenen Plattdeutsch-Lehrstuhl an der Universität Göttingen nicht ersetzen könne, aber was der zukünftige Lehrstuhl-Inhaber Jörg Peters, der in Potsdam über „Die Intonation deutscher Regionalsprachen“ habilitiert hat, sagte, macht Platt-Freunden Hoffnung: Er wolle für den Erhalt des Plattdeutschen und des Saterfriesischen eintreten, und dazu müssten auch Lehrer für diese Sprachen ausgebildet werden, forderte er. Felix Zimmermann