: Der Sand in Barschels Schuhen
■ Über die Ungereimtheiten im Todesfall Uwe Barschel sprach die taz mit dem Geheimdienstprofi Xaver Nordhoff / Nordhoff hat schon mehrmals in dieser Zeitung zu mysteriösen Affären Stellung bezogen - so in den Fällen Kießling und Tiedge
taz: Herr Nordhoff, fühlen sie sich bei der Affäre Barschel nicht in einen Roman versetzt Nordhoff: Auf den ersten Blick scheint das so, allerdings würde kein Romanautor als Tatort das Hotel „Beau Rivage“ wählen. Das kommt doch in jedem zweiten Krimi über Finanz– und Waffenschiebereien vor. Barschel soll ja zuvor auf Gran Canaria in der Villa des Waffenhändlers Kashoggi aufgetaucht sein. Der Name Kashoggi läßt natürlich aufhorchen. Vor allem im Zusammenhang mit dem aufgeflogenen Skandal um den Verkauf von U–Boot–Bauplänen für Südafrika. Und wenn der Deal noch lief, Kashoggi als Zwischenhändler diente, und um die Mitwisser klein zu halten alles auf höchster Ebene abgewickelt wurde? Das ist möglich. Ohne die Landesregierung, die in den Entscheidungsgremien der Werften sitzt, ist so ein Geschäft jedenfalls nicht denkbar. Ihre Spekulation, daß Barschel in viel brisantere Stricke als ein paar kleine Meineide verstrickt ist, hat einiges für sich. Stutzig macht mich vor allem, daß die Familie so beharrlich von Mord spricht, aber keinen Grund für den Verdacht nennt. Sie hat vielleicht auch keinen Grund und will etwas Ehrenrühriges wie einen Selbstmord einfach nicht wahrhaben... Oder sie kann die Gründe nicht nennen, weil sonst noch ganz andere Köpfe rollen. Stoltenberg sah jedenfalls noch nie so grau aus wie in diesen Tagen. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Bericht der Baseler Zeitung, wonach offizielle deutsche Stellen die Genfer Behörden zur Selbstmordversion gedrängt hätten. Ganz offenbar gibt es also ein Interesse, Barschel als tragischen Fall abzutun. Glauben Sie, daß an der Mordthese noch etwas dran ist, nachdem bei der Obduktion Barbiturate entdeckt wurden, was ja auf Selbstmord hindeutet? Wenn es Selbstmord war, dann ein inszenierter, der der Legendenbildung freien Lauf läßt. Die Reise nach Genf, die der Familie gegenüber geäußerte Euphorie nach dem Treffen mit dem „Infor manten“, die Ankündigung, am Montag in Kiel zur Verfügung zu stehen, das Verschwindenlassen der Medikamente und der Weinflasche, der Sand an Barschels Schuhen - die Fußmatte im Badezimmer ist völlig verdreckt - das unbenutzte Bett mit dem aufgeschlagenen Sartre–Buch - all dies soll suggerieren, daß irgendetwas anderes vorgefallen sein muß als ein „normaler“ Selbstmord. Dennoch bleiben Lücken, z.B. was diesen Informanten betrifft: Wie hätte er Barschel rehabilitieren können? Selbst wenn der Mister X neben Pfeiffer auf dem angeblichen Foto Willy Brandt hieße und Pfeiffer ein SPD–Agent wäre, ändert das nichts daran, daß Barschel ihm die Aufträge gegeben hat. Seine eigenen Minister haben das zum Teil ja bestätigt. Wenn es aber ganz andere Informationen waren, die er in Genf gesucht hat? Das ist das zweite Szenario: Der Bruder Eike ist Finanzdirektor der Firma, die für den „Leopard 2“ die berühmte Zieloptik herstellt. Eike hat gesagt, er habe seinem Bruder diesen Informanten verschafft, der dann auf Gran Canaria mit Barschel telefoniert haben soll. Woher kannte er die Geheimnummer? Und wie kommt ein Schweizer Leopard–2–Zulieferer überhaupt zu einem Informanten, der einen Kieler Medienreferenten Pfeiffer entlarven könnte? Es handelt sich offenbar um ganz andere Informationen. Wenn Barschel tiefer in Waffengeschäfte verstrickt war, als es bisher den Anschein hat, und auf Cran Canaria mit Kashoggi konferiert hat - dann interessierten ihn in Genf statt Pfeiffer die Beweise, mit denen er Druck ausüben konnte... Nach dem Motto: Wenn ihr mich wegen dieser läppischen Engholm–Bespitzelung fallen laßt, dann lasse ich ein paar ganz andere Sachen hochgehen... So ungefähr. Für einen krankhaft ehrgeizigen Menschen - und mit einem solchen haben wir es ganz offensichtlich zu tun - eine durchaus vorstellbare Reaktion. Das heißt also, er wurde umgebracht, weil er drohte, etwas auszuplaudern? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder hat Barschel in Genf keine brauchbaren Informationen erhalten und, nachdem dieser letzte Strohhalm zerbrochen war, seinen Selbstmord inszeniert. Oder er hat welche erhalten und ist zum Schweigen gebracht worden. Es wäre auch denkbar, daß dieser Informant nur ein Köder war, um ihn in die Falle nach Genf zu locken. Seiner Frau erklärte er, im „Hilton“ abzusteigen, nahm aber dann ein Zimmer im „Beau Rivage“, obwohl er mit seinem Bruder zum Frühstück im „Hilton“ schon verabredet war. Er wurde also vielleicht dorthin gelotst. Aber wie kam es dann zu diesem Tod in der Wanne? Meine erste Vermutung war Blausäuregas, ein in den 60er Jahren erstmals vom KGB verwendetes Spraygift, das sehr schnell zu einer Herzlähmung führt, es wird von der Haut aufgenommen und ist auch nur da und auf der Kleidung nachweisbar, nicht im Körper. Der Witz: es ist wasserlöslich - deshalb die Wanne. Genau vor zehn Jahren wurde Andreas Baader tot in seiner Zelle aufgefunden, auch an seinen Schuhen wurde Sand entdeckt, die Todesumstände sind bis heute ungeklärt. Von daher könnte es ein Glück sein, daß die Sache in der Schweiz passiert ist, die Aufklärung des Falls nicht mit Staatsinteressen kollidiert. Andererseits hat sich vor zwei Wochen der Chef der Loge „P 2“ in Genf den Behörden gestellt, was soviel heißt wie: Er hat ein Büro und eine Postanschrift, ist also wieder zugange. Möglich also, daß der „Selbstmord“ im „Beau Rivage“ genauso dunkel bleibt wie der in Stammheim. Interview: Mathias Bröckers
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