DER HINTERGRUND

■ „Die Zeit ist reifer denn je für Harald“

Harald Juhnke, bei einem Avusrennen als Ehrenrundenfahrer angekündigt, erscheint nicht. „Der liegt wieder unterm Jägermeister“, so Volkes Stimme; Gerüchte, Juhnke schwankend im Literaturhaus, um sich blickend, zwischen um sich blickenden Literaten, wieder gehend. Bernhard Minetti fand nur lobende Worte für sein Spiel; Friedrich Luft lachte in der Öffentlichkeit; als Machttheoretiker Stockhausen ist er Hauptperson in Rainald Goetz‘ „Heiligem Krieg“: “... ach Harald, Juhnke nachts bei Bubi/Die beiden Männer standen sich stumm gegenüber/Eine Sekunde, zwei/Dann sanken sie sich in die Arme, Mensch Bubi/Ach Harald/Darauf trinken wir einen, Junge, hau weg die Scheiße, Prost.“

„Die Zeit ist reifer denn je für Harald“, so Peter Schwenkow, Produzent und Veranstalter der „Harald Juhnke Show '88“ in einer Pressekonferenz. Es gab ausschließlich Kaffee. Schwenkow, 34, Erfolgssack, Veranstalter auch der Berliner Röcke, schirmt Juhnke vor den desinteressierten Fragen einer gelangweilten Journaille ab und übernimmt für ihn das Antworten. Es ist beschämend. Der könnte sein Sohn sein. Juhnke, schwer, langsam, später ein bißchen wie ein Kaninchen, das sich aber äußerst schnell in eine Schlange verwandeln könnte. Sympathisch, fast rührend.

Dieser Mann hat so etwas sagenhaft Trostloses, daß es einem die Tränen in die Augen jagt. Früher mag er der Berliner gewesen sein, der aus ständiger Angst vor der Angst - „Ich habe mir nie den Weichmacher Existenzangst ins Mundspülwasser schütten lassen. Und ich habe ihn mir auch nicht reinschütten lassen.“ - zum lärmenden Angeber wurde. Solche reden nicht über Angst und können gar nicht über Angst reden; die flippen plötzlich aus, die schwappen plötzlich ab, weil ihnen die Melancholie so im Blut liegt, die Melancholie, die sie plötzlich hinterrücks überfällt, wenn ein Engagement zu Ende gegangen ist. Wie Ende der siebziger Jahre, als er tagelang trank - Harald Juhnke, allein im Hotelzimmer - Auftritte und Proben sausen ließ und dazwischen die Gesamtpresse, 'BZ‘, 'Bild‘, 'Mottenpost‘ etc. zu sich einlädt, um zu erklären, daß er aufhört mit der Schauspielerei. Gegen besseres Wissen, um den Lesern eine Freude in den grauen Alltag zu bringen; die wolln das ja.

Noch einmal, Harald, als Harry Juhnke geboren - „ich hieß ja damals noch Harry, erst dem Harald schmeckten dann andere Sachen umso mehr“, schlug sich so durch als Berliner Schnauze, wurde mit 15 entjungfert, hatte dann Frauen en masse, war Schieber nach dem Krieg und kam eher zufällig zum Theater, '47, und hatte seinen ersten großen Auftritt in 'Viel Lärm um nichts‘, kam durch Erik Ode zum Boulevard, dann die „kongeniale Synchronisation“ von Marlon Brando in „Die Faust im Nacken“. Dann der 25.2.'59: „Herr Juhnke, zum Wohl!“ - „Danke. Auf einem Bein kann man nicht - Prost.“ „Meine Rede. Bierchen noch?“ - „Bierchen? Jaa, klar!“ Da hatte er was getrunken gehabt. „Ein Bier hab ick jetrunken, einen Schnaps, harmlos, janz harmlos...“ Da war er abgeschwappt. Da gab's 'ne prima Verfolgungsjagd mit den Bullen. Als er gestellt wurde, rief er ihnen zu, daß sie ihre Quittung schon kriegen würden, wenn die Russen erst einmal in West-Berlin wären. Und prügelte sich: sieben Monate.

Filme: „Ein Mann will nach oben“, „Drei Mädchen spinnen“ usw. usf., Serien mit „Baxi“ in „Ich liebe dich“, mit Grit Boettcher „Ein verrücktes Paar“, ... schwachsinnige Sachen“, wie er selbst sagt, aber teilweise infernalisch gespielt, mit irrem Blick, leidenschaftlich, nihilistisch, erholend wie Dick & Doof oder die Marx Brothers am Feierabend. Gefeiert in ersten Rollen, in Pavel Kohouts „August, August, August“ oder letztes Jahr in Osbornes „Entertainer“. Wünscht sich, unter Peter Stein zu spielen.

In seiner „Personality Show“ geht es um den Menschen, wie er ist; sensibel, poetisch, verletzlich und komisch. Georg 'Mary‘ Preusse (der andere des Travestieduos Mary & Gordy) zeichnet für Buch, Regie & künstlerische Beratung verantwortlich, Waltraud Habicht ist seine Partnerin - zuvor hat sie politisches Kabarett gemacht, ihr mütterliches Gesicht verheißt „Lustigkeit“ (Mary) - es gibt eine aufwendige Lightshow, ein großes Orchester, eine Showtreppe. Eine Tournee wird es geben, sechs Monate, durch Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Plattenaufnahmen, eine Fernsehaufzeichnung. Wird er das durchhalten? Hat er das nötig? Er wünscht sich, so klein, ein Clown zu sein.

„Wohlsein“, murmelte er. „Wohlsein“, murmelte ich. Wir tranken. „Hahhh“, haucht er aus und stellte das Glas ab. „Ist das gut?“ - „Sehr gut“, bescheinigte ich. „Das schmeckt von Tag zu Tag besser.“ (Juhnke 'Die Kunst, ein Mensch zu sein‘). Den Besetzern des Norbert-Kubat-Dreieckes sei eine Harald-Juhnke-Hütte ans Herz gelegt, dem Rest der Besuch seiner Show.

Detlef Kuhlbrodt