: Renaissance der Individualität
„Wiesbadener Erklärung“ und viele Zwar-Aber-Sätze zur Koalition von seiten der FDP / Koalitionsaussage gelte nur bis Ende der Legislaturperiode / Bürgerrechtspolitik und Marktwirtschaft untrennbar verbunden ■ Von Klaus Hartung
Berlin (taz) - Die zunehmende Zwar-Aber-Rhetorik der FDP in Sachen Koalition hat gestern ihr Generalsekretär Helmut Hausmann fortgeführt. Zwar halte er nichts von einem Auswechseln Kohls vor 1990, zumal es gelte, den europäischen Binnenmarkt voranzubringen. Aber - unterstrich er gleichzeitig - die Koalitionsaussage der FDP zugunsten der CDU gelte nur bis Ende der Legislaturperiode.
Grundlage für diese Zwar-Aber-Haltung, mit der die FDP sich vom Sog des Niedergangs der CDU freizuschwimmen gedenkt, wird die Ende vergangener Woche veröffentlichte „Wiesbadener Erklärung“ sein. Initiiert wurde sie von Hans-Dietrich Genscher, der mit einem solchen Papier auch vermeiden wollte, daß die Konkurrenz zwischen Irmgard Adam- Schwätzer und Otto Graf Lambsdorff um den Parteivorsitz in Flügelkämpfe ausartet. So schrieben denn auch Lambsdorff, Adam-Schwätzer, Gerhart Baum, Haussmann und Guido Westerwelle von den Jungdemokraten an der Erklärung. Die 19seitige Positionsdefinition unter dem Titel: „Bilanz und Perspektiven liberaler Politik“ nennt zweideutig als Hauptmotiv für die Wende, daß es galt, die „Staatsfinanzen in Ordnung zu bringen“. Die Steuerreform hält sich die FDP dennoch als Erfolg zugute. Aber: Koalitionen seien „Zweckbündnisse auf Zeit“.
Vor allem will sie sich gegenüber den beiden Volksparteien in die Mitte absetzen: „Für uns verläuft die politische Grenze nicht zwischen rechts und links, sondern zwischen freiheitlich und autoritär.“ Allein für Liberale seien Bürgerrechtspolitik und Marktwirtschaft „untrennbar verbunden“. In diesem Sinne wird angesichts des Übergangs von der „Industriegesellschaft“ in die „Informationsgesellschaft“ die „Renaissance der Individualität“ verkündet. Entsprechend fordert man zum einen eine weitgehende Deregulierungs- und Privatisierungspolitik und eine regionalisierte Tarifpolitik, zum anderen kritisiert man die CDU, die „bei rechtspolitischen Themen und Problemen immer wieder auf den Staat setzt“. Die „Wiesbadener Erklärung“ soll am 12. September vom Bundesvorstand verabschiedet und dann dem Parteitag vorgelegt werden.
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