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„Mein Mandant ist kein Schläger“

■ Strafmildernde Umstände, trotzdem fünftausend Mark Geldstrafe wegen zweifacher Körperverletzung / „Selbstjustiz und Erziehung steht dem Angeklagten nicht zu“

Beim fünften Mal platzte dem Verteidiger der Kragen: „Bitte nennen Sie meinen Mandanten nicht immer Schläger!“, fauchte er den als Zeugen geladenen Rentner B. an. Wie ein Schläger sieht der auf der Anklagebank sitzende 59jährige Karl-Heinz H. auch wahrlich nicht aus. Er ist schmächtig, hat weiß-grau meliertes Haar und ein hageres Gesicht mit buschigen Augenbrauen. Man kann sich kaum vorstellen, daß er dem 24jährigen Thomas K. im Oktober 1987 im Kaufhaus Horten bei einem Handgemenge den Kiefer gebrochen und damit sechs Wochen Haferbrei beschert hat. Nach eigenen Angaben wollte der Angeklagte seine Frau vor einem befürchteten Raubüberfall schützen, was Thomas K. als absurden Vorwurf zurückwies.

Dies war aber nicht die einzige

Körperverletzung, die ihm gestern im Bremer Amtsgericht vorgeworfen wurde. Zwei Monate zuvor hatte er sich bereits „genötigt“ gesehen, den damals 15jährigen Schüler Nikolai B. mit einem Faustschlag zu erziehen. Der nach Hause radelnde Schüler hatte dem Mercedes-Fahrer mit erhobener Faust gedroht, weil dieser ihn unvermittelt geschnitten hatte. Daraufhin hatte der Angeklagte seinen Wagen gestoppt und den Jugendlichen vom Rad gezerrt. In dem sich anschließenden Handgemenge unterlief dem Angeklagten ein „unbewußter Schlag, und dann fing seine Nase an zu bluten.“

Der Angeklagte versuchte die Fälle als Notwehrsituation bzw. Reflexhandlung zu rechtfertigen, was ihm nicht gelang: Die Zeugenaussagen belasteten ihn zu stark. Zudem verstrickte er sich

immer wieder in Widersprüche, sodaß der Richter bei seinem Urteil von 5.000 Mark Geldstrafe sogar noch über die von der Staatsanwältin geforderten 60 Tagessätze a 50 Mark hinausging. Er hätte Karl-Heinz H. sogar zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, wenn er ihm nicht strafmildernde Umstände zugestanden hätte: Karl-Heinz H. war 1984 bei einem Raubüberfall nur knapp mit dem Leben davongekommen, mußte innerhalb der letzten vier Jahre zwölf Einbrüche verkraften und hatte dauernd Ärger mit Jugendlichen.

Da er mit der Polizei bei der Strafverfolgung mehrfach schlechte Erfahrungen gemacht hatte, wollte er anscheinend die Angelegenheiten gleich selbst regeln. Doch „Selbstjustiz und Erziehung steht dem Angeklagten nicht zu“, so die Staatsanwältin.

Kurz vor der Urteilsverkündung nach dem 4 1/2-stündigen Prozeß meinte einer der Jugendlichen, der als Zeuge geladen war, scherzend: „Ich bin für Selbstjustiz. Machen wir morgen, nä!“ Gut, daß H. das nicht gehört hat.

RaS

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