: Rosa Zeiten im Schütting
■ Bremer Betriebe haben 1988 weniger produziert, aber mehr umgesetzt / Schlechte Noten für Bildungspolitik / Zusätzlich 1,2 Milliarden vom EG-Binnenmarkt?
Kleine Rochade auf der Kommandobrücke der Bremer Handelskammer: Präses Friedo Berninghausen und Vize Dieter Berghöfer tauschen zum Jahresende die Plätze. Dem international tätigen Holzhändler (Steinbrügge & Berninghausen) folgt damit ein Pharma-Unternehmer (Roha -Arzneimittel GmbH). „Diese Rotation ist keine modische Erfindung, sondern eine alte Einrichtung bei der Handelskammer“, trat Berninghausen Spekulationen über das Ende seiner Amtszeit entgegen; „das ist auch gut so“.
Mit dem ablaufenden Jahr 1988 ist die Handelskammer durchweg zufrieden. Das dokumentiert der teilweise auf rosa Papier kopierte Jahresbericht. Bremen habe Anschluß an die günstige Bundes-Konjunktur gefunden. Zwar sei die Industrieproduktion um vier Prozent gesunken; dennoch hätten die Betriebe ein Umsatzplus von 3,4 Prozent gemacht. Des Rätsels Lösung: Lagerbestände seien abgebaut und Preise erhöht worden. Für die Zukunft sehen die meisten bremischen Betriebe rosa: 90 Prozent aller Industrieunternehmen beurteilen die Geschäftslage als „saisonüblich“ bis „gut“. Das allerdings nützt den 15 Prozent Erwerbslosen wenig. Immerhin ist
die Quote geringfügig um 0,7 Punkte gesunken.
Ein schlechtes Zeugnis stellte der scheidende Kammer-Präses Berninghausen allerdings der Schulpolitik des Bremer Senats aus. Vor der Bürgerschaftswahl 1987 hätte der Senat eine Bestandsgarantie für das Alte und das Kippenberg-Gymnasium abgegeben. „Der Senat hat sein Wort gebrochen“, kritisierte Berninghausen den Beschluß, nach der Eliminierung des AG nun auch Kippenberg auslaufen zu lassen. „Schulpolitik ist Standortpolitik, und Standortpolitik ist Wirtschaftspolitik“, rechtfertigte Frank Friedrich die Einmischung der Kammer. Der Lobbymann vertritt die Kammern von Hamburg und Bremen.
Auch an der Gewerbeflächenpolitik des Wirtschaftssenators moserte die Kammer herum. Bremens jährlicher Flächenbedarf für die Gewerbeansiedlung betrage 30 bis 40 Hektar. Tatsächlich stünden kurzfristig aber nur 13 Hektar zur Verfügung. Die Flächenpolitik muß nach Auffassung der Kammer „angebotsorientiert“ sein. Der Senat soll für mindestens zehn Jahre ein finanziell abgesichertes Gewerbeflächenprogramm vorlegen. Im Klartext: Das Land soll Hunderte
von Hektar für die Industrie vorsorglich ausweisen.
Kein gutes Haar ließ der Schütting an der Verkehrspolitik. Zwar sei nach privaten Investitionen in Millionenhöhe die „Innenstadt im Aufwind“. Doch durch „unkoordinierte Straßenbaumaßnahmen“ werde die „Erreichbarkeit der City“ in Frage gestellt und die „Aufwertung der City unterlaufen“. Es geht ans Eingemachte: Busse und Bahnen, tadelt die Kammer, würden dem Individualverkehr vorgezogen.
Mit Blick auf den Gemeinsamen Binnenmarkt der Europäischen Gemeinschaft Ende 1992 will der Schütting seinen Beratungsservice für EG-Unkundige ausbauen. Mit Unterstützung ihrer Brüsseler Dependance wollen die Bremer Kammer-Herren den einheimischen Firmen die EG-Institutionen näherbringen. Das soll den ChefInnen auch die „Scheu vor der Brüsseler Bürokratie“ nehmen. „Das Hauptproblem bei der EG ist das der Information“, erläuterte der designierte Präses Berghöfer.
Bei der Handelskammer können sich Bremer Unternehmen künftig über alle Verordnungen, Rechte und Normen in den Mitgliedsländern schlaumachen. Mit Hilfe des Schütting können Fir
men auch europäische Datenbanken nutzen, in denen zum Beispiel Informationen über EG-weite Ausschreibungen, Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes und Forschungsprojekte gespeichert sind. Die „EG -Beratungsstelle“ macht den Weg frei durch den EG-Dschungel, und das lohnt sich: Nach Schätzung von Dieter Berghöfer winkt der bremischen Wirtschaft durch den Binnenmarkt „ein zusätzlicher Wachstumsschub von 1,2 Milliarden Mark“.
Ob die Milliarden-Prognose aus dem Schütting allerdings wahr wird, ist offen. Zwar haben auch die bremischen Häfen im letzten Jahr 3,1 Prozent mehr umgeschlagen. Aber die Steigerungsraten der Konkurrenzhäfen waren meistens größer (vgl taz vom 13. 12.). Wenn Ende 1992 die Zollschranken innerhalb der EG fallen, wird es für bundesdeutsche Unternehmen noch einfacher, ihren Warenverkehr über Rotterdam und Antwerpen abzuwickeln. Bedenken, beim künftigen Binnenmarkt gewännen nur die großen Häfen, läßt Berghöfer allerdings nicht gelten. Die an der Weser mit Erfolg eingesetzte computergestützte Logistik mache die natürlichen Standortnachteile wett.
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