Im Staatstheater ist der Bär los

■ Schmonzette-Operette „Schwarzwaldmädel“ feierte im Schauspielhaus Premiere / Ensemble badet entzückt in übervollen Wannen verkitschter, gebrochener, aber wohlerhaltener Sehnsüchte

Also, Hand und Fuß hat die Geschichte nicht, und eigentlich hat sie auch gar keine Geschichte. Nur soviel ist klar: am Cäcilientag ist in St. Christoph im Schwarzwald der Bär los, da wird, zu Ehren der Heiligen und zum eignen Gaudium, zuerst in der Kirche inbrünstig gesungen und jubiliert, dann im Wirtshaus brünstig getrunken und geschwoft, und selbstverständlich geben sich da die „Mädle aus dem schwarzen Wald“ gar nicht zugeknöpft. Das bringt nicht nur die einheimischen Burschen in Wallung und dem alten Organisten zweite Frühlingsgefühle, das lockt auch die Fremden ins Dorf. Für den städtischen Schick taucht auch noch eine kesse Berlinerin auf: Malwine. Und Malwine hat nicht nur ein Herz für Männer, sondern auch für graue Mäuse: sie sorgt dafür, daß das Bärbele, das Aschenputtel von St. Christoph, auch auf den Ball darf, und dort trifft es denn auch seinen Prinzen... So hat am Ende jedes „Schwarzwaldmädel“ sein Schwarzwald- oder auch Berliner Bürschel, und nur der arme Kirchenorganist wird sogar in der Operette mit dem Realitätsprinzip konfrontiert und geht leer aus.

Nicht grad eine Geschichte, die einen aus den Socken haut. Klar, daß Bockmayer die ganze Chose umfrisiert hat, und welchen Spaß die Arbeit an dem „Schwarzwaldmädel“ nicht nur ihm, sondern dem ganzen Ensemble gemacht hat, ist deutlich zu spüren. Die Schauspieler spielen so locker, mit so viel Freud am schieren Un

sinn, daß man davon sofort angesteckt wird. Von der alten Operette ist dabei nicht mehr viel übriggeblieben. Statt seliger Walzer- und Polkaklänge: fetzige Rockmusik. Statt Trachten und Dirndln und den Hüten mit diesen Knödeln drauf: ein Griff in den Kleiderschrank der letzten 30 Jahre. Malwine kommt als Punk, die Burschen auf der Walz als Jogger, der Domkapellmeister und Organist in schwarzen Lederklamotten, ... Bockmayers “ Schwarzwaldmädel“ spielt also nicht in irgend einer verflossenen, sondern „zu unserer Zeit“. Das heißt, Bockmayer und die Schauspieler mußten auch die Gefühle, die die Operette transportiert, übertragen in unsere Formen verkitschter Sehnsucht. Zugleich brechen sie sie: Der Schwarzwald, die „heile Welt“ mit Kuckucksuhren und kranken Bäumen, ist auf Dias zu sehen, die Schauspieler auf rotschwarzen Kunstledersofas.

Aber viel witziger ist, wenn sich diese Operettensehnsucht im Spiel zugleich ausdrückt und karikiert. So zum Beispiel Maria Happel, die das Bärbele, so spielt, daß wir und sie über diese Klischeerolle herzhaft lachen, zugleich aber immer noch etwas davon spüren, daß der Operettenkitsch als Schmiermittel für die Seele fungiert.

Ganz besonders gelungen ist diese Doppelung in einem Spiel im Spiel. Das Wirtstöchterchen Dorle (Katja Bellinghaus) spielt mit umwerfend gelispeltem „S“ Vivi Bach, die grade in „Wünsch

dir was“ den schon reichlich abgehalfterten Rex Gildo interviewt, der von Dorles angebetetem Theobald (Heinrich Baumgartner) gespielt wird. Und als Rex Gildo kann Theobald nun ganz aus sich herausgehen und „hossa„-rufend Dorle-Vivi in eindeutiger Geste einen Maiskolben hinstrecken, den sie vor ihrem Vater sofort schamhaft unterm Rock, wo sonst, versteckt.

Aber die vergnügliche Spannung sackt doch während des Abends manchmal ein, und das Stück zieht sich in die Länge. Das liegt zum Teil daran, daß Bock

mayer die ganze Flut seiner Ideen und Einfälle in seiner Inszenierung unterbringen wollte und diese dadurch streckenweise richtig vor sich hinkleckert. Zum Beispiel die Szenen in der Schwarzwaldklinik. Klar, unsere Operetten sind die Fernsehserien: aber diese Idee wirkt wie angepappt, und das Stück droht zu einer endlosen Nummernrevue zu werden. Außerdem kann man manchmal sich nicht des Eindrucks erwehren, daß ein Gag, mit dem das Stück beginnt, so unwahr nicht ist: Herbert Knaup tritt vor den Vorhang und meint, die Schau

spieler hätten ohne Regisseur schauen müssen, wie sie zurechtkommen. Gerade Herbert Knaup wirkt auch oft alleingelassen in seiner Rolle als Domkapellmeister Blasius Römer. Er spielt ihn, im vulgärsten Hamburgisch, als Udo Lindenberg: und dies macht seine Rolle so eng, so starr, daß er nur noch immer lauter schreien, immer stärker kalauern kann. Das nutzt sich schnell ab. Viel besser trägt da der Einfall, Malwine als Punk auszustaffieren, und Traute Hoess wirbelt und fetzt denn auch als Malwine durch das Stück, daß es nur so stiebt.

Christine Spiess