piwik no script img

Swinging Metropolis

■ 15. Auf dem Schlagerpfad

„Beethoven, oh Ludwig van! / Hatte Gott dich auch verlassen... / Deine Lieder pfeifet man / In den Domen, auf den Straßen.“ So dichtet der „welfische Schwan“ Julie Schrader um die Jahrhundertwende und belegt also, was man dunnemals unter einem Schlager verstand. Aber mal im Ernst beziehungsweise im Peter Czerny & im Heinz P.Hofmann: die beiden haben im VEB Lied der Zeit ein zweibändiges „Panorama der leichten Musik“ herausgebracht, Der Schlager, dessen ersten Teil - weil von historischem Interesse - wir hier unter die Lupe nehmen wollen. Bisweilen massiv ideologisch verbrettert, zeugt das 1968 erschienene Standardwerk doch von akribischer Forschungsarbeit, illuminiert Vorder-, Hinter- & überhaupt Gründe, warum, wie, wann & wo was gepfiffen ward.

Indizien sprechen dafür, daß der Begriff ab zirka 1870 Einzug in den Sprachgebrauch hält, ausgehend wahrscheinlich von Österreich. Aufmerksame „Swinging Metropolis„-Leser erinnern sich vielleicht an die Beliebtheit des musikalischen Schlag(er)obers zu jener Zeit. So soll der Wiener Schauspieler & Sänger Alexander Girardi nach der zehnten Aufführung des Liedes „Bei Tag, da bin ich hektisch, bei Nacht bin ich elektrisch“ ausgerufen haben: „Kinder, das hat eingeschlagen!“ 1881 heißt es in der 'Wiener Nationalzeitung‘: “...zündende Melodie - Schlager nennt sie der Wiener.“ Die Herkunft allerdings ist in merkantilen Gefilden zu finden, wie uns das Grimmsche Deutsche Wörterbuch lehrt und wie sich reineweg jeder selbst denken kann, der sich an dem einen oder anderen Verkaufsschlager delektiert. In seinen 1830 veröffentlichten Werken schreibt Immanuel Kant, weder Kaufmann noch Musiker, dafür aber damals bereits seit 26 Jahren tot, von einem Manne, „dem seine Handelsspekulationen gut einschlagen“.

Ab der Jahrhundertwende wandelt sich auch der Wortinhalt vom Erfolgsprädikat zum Allerweltlichen. Jeder Auswurf jener Muse, welche die „leichte“ man heißt, egal ob Hit oder Flop, wird zum Schlager erklärt: Couplets, Volksgetu, Gassenhauer, Weisen aus Possen & Operetten, bis man sich mehr & mehr auf tanzbaren Stoff kapriziert. Beispielhaft stehen natürlich die hier illustrierten, heiteren Krawallfetzen aus den Zwanzigern da. Der herrliche Wilhelm Bendow (das mit dem „Herr“ ist nicht so ganz ernst zu nehmen) parodiert dergleichen ins Absurde rüber, als ihn der 'Uhu‘ nach seinem liebsten Chanson (!) fragt: „Ich küsse Ihren Mund, Madame, / Und denk‘, es wär die Hand. / Ich küsse Sie gleich wund, Madame, / Ich küsse allerhand. / Ich küß‘ wie süßes Gift, Madame, / So küßt ein andrer nie. / Ich fahr zu Ihnen im Lift, Madame, / Und küß‘, wohin es trifft, Madame. / Ich küsse Ihren Mund, Madame, / Und Ihre Sympathie. / Ich küsse Ihren Mund, mein Herr, / Und glaub‘, es wär Madame, / Ich war mal ganz gesund, mein Herr, / Eh‘ dieser Schlager kam; / Denn wo ich immer bin, mein Herr, / Hör ich's gespielt - na und - / Ich weiß nicht mehr wohin, mein Herr, / Ich küß‘ schon ohne Sinn, Madame, / Nun küß‘ ich überhaupt nicht mehr, / Mit meinem Rosenmund.“

Das kommt zwar nicht vor in dem eingangs erwähnten Buche, doch paßt es zum permanenten Lamento der beiden Genossen Musikwissenschaftler über die „Eingrenzung auf nur Vergnügliches, das dem Amüsement dient“. Immer wieder wird gewettert auf vertonte „Zügellosigkeit, Bummelleben, Weiber, Sekt und Chambre separee“. Aber wo sie recht haben, haben sie recht, denn von Anbeginn bilden das Schlagerlied & der kaufmännisch-wirtschaftliche Bereich einen - etymologischen

-Kreis. Der heut gern beklagte eklatante Kampf ums Popgeschäft ist beileibe keine Erfindung unseres SynthetikManagements. Unter der Titelzeile „Berliner Musikallienhändlerisches“ steht 1986 in der 'Neuen Berliner Musikzeitung‘: „'Einigkeit macht stark‘, sagten die Musikalienhändler Berlins, als sie sich zu einem Verein zusammenscharten. In diesem Verein ärgert man sich augenblicklich am meisten über den billigen Massen-Wertheim. Man hatte ihn boykottiert, als er Musikalien um den halben oder gar viertel Preis wie die Musikalienhandlungen abgab. Aber ein Haus wie Wertheim läßt sich das nicht so ohne weiteres gefallen, es nimmt einen schneidigen Rechtsanwalt, und dieser bringt nunmehr die armen Boykottierer in peinliche Not: Der Prozeß steht für Wertheim sehr günstig.“

Norbert Tefelski

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen