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Chaplin im Konzertsaal

■ Der Tramp und das Cello

„Wissen Sie, dieser Bursche ist sehr vielseitig; er ist ein Tramp, ein Gentleman, ein Dichter, ein Träumer und ein einsamer Bursche. Immer hofft er, es möge ihm etwas Romantisches und Abenteuerliches begegnen. Er möchte die Menschen glauben machen, er sei ein Wissenschaftler, ein Musiker, ein Herzog oder ein Polospieler. Und dabei ist er durchaus imstande, fortgeworfene Zigarettenstummel aufzuheben oder einem Säugling seinen Lutscher wegzunehmen. Ja, wenn die Gelegenheit es verlangt, wird er sogar einer Dame einen Tritt in den Allerwertesten versetzen - aber wirklich nur dann, wenn er sehr aufgebracht ist.“ (Chaplin 1914 über 'Charlie‘, seine Figur)

Über den „berühmtesten Menschen dieses Jahrhunderts“, läßt sich angesichts der Stapel von Gedrucktem, die ihm gewidmet sind, wenig Neues behaupten. Charles Spencer Chaplin, geboren am 16.4.1889 in London, berühmt geworden als der erste „Star“ Hollywoods und als wahrscheinlich einziger mit der Akzeptanz der ganzen Weltgesellschaft (mit Ausnahme der Faschisten und amerikanischer Linkenaustreiber) gesegnet, ist hinlänglich bekannt. Seine Filme sorgten nicht nur für volle Fernsehzimmer und Kinosäle von 1914 bis heute, sondern vereinigten auch unsentimentale Herrschaftsmenschen von Tschu En Lai über Chruschtschow bis Churchill in der Faszination für die Figur 'Charlie Charlot‘, den Tramp, der Zeichensysteme zum Sprechen brachte.

Weniger bekannt ist, daß Chaplin neben Schau-auch Cello spielte, ambitioniert, und daß er für seine Filme Musiken komponierte, die zunächst live zur Filmvorführung performt und später, nachdem der Tonfilm erfunden war, fest mit den Filmen verbunden wurden. Dabei verfolgte Chaplin ein kontrapunktisches Konzept, zu seiner furiosen Bildführung und Dramaturgie steuerte er via Musik eine Ebene der Melancholie bei. Dazu orientierte sich Chaplin an melodischen und harmonischen Prinzipien der Romantik, an einer 'eleganten‘ Empfindsamkeit, die dem sozialen Charakter des 'Tramps‘ hart widersprach.

Der Cellist Thomas Beckmann stieß 1985 in einem Archiv auf die Original-Noten dieser Chaplin-Kompositionen und spielte sie zusammen mit dem Pianisten Johannes Cernota auf Vinyl und in zahlreiche Konzertsäle. In diesem Frühjahr, pünktlich zu Chaplins 100. Geburtstag, also medienmäßig bestens getimed, ist Beckmann mit neuer Pianistin, Kayoko Matsushita, und einem neuen Chaplin-Programm auf neuer, ganz großer Tour und heute abend im Bremer Goethetheater zu Gast. ste

Theater am Goetheplatz 19.30h

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