Kreuzberger Krawalle-betr.: "Blinder Haß gegen rot-grünen Senat", "Kreuzberger Mairitual", taz vom 3.5.89

In den Hinterstuben der CDU-Mafia, die das Sagen hat: (...) „Kameraden, wir sind uns einig, der rot-grüne Senat muß verschwinden. Schnellstens. Unser 'christliches Abendland‘ können wir nicht den sozialistischen Spinnern überlassen. Unsere amerikanischen Freunde sind sehr besorgt. Fest steht, daß grüne Gelumpe und andere rote Spinner demonstrieren wieder in Kreuzberg am 1. Mai. Mit Ausnahmen unter diesen Brüdern soll es friedlich zugehen. Die Polizei ist vom Momper-Senat auf Deeskalation geschaltet worden, auf humanes Vorgehen beim polizeilichen Einsatz. Keine Videoaufnahmen und wenig Festnahmen sind geplant. Das müssen wir dem roten Senat versauern. (...) Wir müssen die Berliner wieder auf unsere Seite bekommen.(...)

Keine Angst: Studien aus der Nazizeit zeigen eindeutig, die einheimischen Kreuzberger werden keinen von unseren vermummten Leuten angreifen oder sie sogar der Polizei übergeben. Als die Ordnungshüter der Nazi-SA die jüdischen Geschäfte zu Kleinholz klopften, da sind die Berliner auch vorrübergegangen und taten so, als gehe sie das nichts an. Eine deutsche Krankheit, die auch heute noch in Berlin grassiert.(...)

Mischt euch vermummt unter die Chaoten, seid Vorbild im Zerstören, feuert sie an bis zum Geht-nicht-mehr. (...)“

Und dann krachte es in Kreuzberg. Die eingeschleusten, rechten Schläger haben ganze Arbeit geleistet. Am nächsten Tag: Die Springerpresse behämmert die Berliner mit Hetz -Tiraden gegen den neuen Berliner Senat, gegen Momper und gegen seinen Innensenator und besonders gegen die ALer. Auch die rechten Polit-Redakteure vom Sender SFB lassen ihre scharfmacherischen Sprüche gegen den rot-grünen Senat vom Stapel. Alles wie geplant. Sie finden unter den Berlinern offene Ohren.

Die CDU-Maffia jubelt. Eiskalt, skrupellos hatten die vermummten Provokateure viele Linke zum Mitzerstören animiert. Aber, meiner Frieda is uffjefallen, det diese „Brüda adrett, stabil und sehr verdächtig eene fast jenormte Körpergröße“ hatten. Sie hinterließen den Eindruck, daß es „ausjesuchte Burschen waren, die uff Zerstören jetrimmt worden sind“.

Det Celle-Loch läßt jrüßen. Ooch die Barschel-Affäre, die Korruptionsskandale. Tja, eben von überall, wo die CDU um ihre Macht fürchtet, wo es dann für sie keine kriminellen Tabus gibt. Vielleicht recherchiert der Mompa-Senat mal hinter die Provokateure hinterher. Der kleene Mann von der Straße kann nicht so doof und jemein denken, wie die CDU -Mafia is. Die Bande is mit allen Wassern jewaschen. Ihre Lehrherren vom US-Jeheimdienst wolln se doch zeijen, wat se jelernt haben.

Euer Lesa aus dem Märkischen Viertel, Berlin

betr.: „Blinder Haß gegen rot-grünen Senat“, „Kreuzberger Mairitual“, taz vom 3.5.89

Als die AL noch der radikaleren Oppositionshaltung verfallen war, da waren es „soziale Explosionen“, die zum 1.Mai in Kreuzberg abgingen, nun ist es eine „gezielte Provokation“. Natürlich, Ausschreitungen, Krawalle (egal aus welchen Motiven heraus) sind für jede Regierung eine „Provokation“. Über die Feststellung dieser Banalität kommen aber auch die sich „links“ gebenden RepräsentantInnen der Regierungspartei AL nicht hinaus.

Die Ursachen für die „Krawalle“ mögen sich ja in der Tat geändert haben; die Trennung in guten „sozialen Protest“ und böse „Militanz als Selbstzweck“ zeugt von Regierungsloyalität und Vermeidung einer inhaltlich -politischen Betrachtungsweise.

Daß die Bereitschaft zur Militanz tieferliegende Ursachen hat, als sie durch die oberflächliche Befriedigungspolitik des Senats zu erfassen wären, daß sich dies alles abspielt vor dem Hintergrund der breiten Akzeptanz einer „richtigen“ Gewalt durch diese zum Teil autoritär strukturierte Gesellschaft (...), solche Überlegungen liegen wohl fern von technokratischem Staats-Denken. Die Irrealos sind, während sie über „fahrradfreundlichen Ampelschaltungen“ brüteten, auf den Boden der gesellschaftlichen Realität zurückgeholt worden. Und die ist wohl doch komplexer, als es die GralshüterInnen des „fortschrittlichen Anliegens“ wahrhaben wollen.

Nein, nicht die rosa-grüne Koalition an sich ist falsch; schlimm ist aber, daß die AL ihren politischen Kopf an der Regierungsgarderobe abgegeben hat. Er ruhe in Frieden.

Heinning Hofmann, Grüner aus Plön/Holstein

Nach den blutrünstigen Vorfällen in Fußballstadien und auf der Straße sollte das pädagogisierende Gerede, das die Linke bisher kennzeichnet, endlich aufhören. Der nackten, gewalttätigen Regression gegenüber sind Begriffe der unnachgiebigen Feindschaft und der Unterdrückung allein angebracht. Darauf kann eigentlich nur der verzichten, der überhaupt keine Vorstellung von menschlichem Gemeinwesen mehr in sich trägt. Es ist auch schon lange an der Zeit, die Notwendigkeit der Unterdrückungsfunktion des Staates, das heißt des Gewaltmonopols gegenüber der kollektiven Regression zu diskutieren, zumal an die rationalistischen Endzeithoffnungen des Kommunismus heute wohl keiner mehr glauben kann.

Olaf Butz, Berlin

Mich erstaunt der konterrevolutionäre Versuch der Berichterstattung der tageszeitung, den Kampf von einigen Tausend Menschen, im Kontext 1.Mai 89 in Berlin, gegen die herrschenden Verhältnisse und die Staatsgewalt, die deren Fortdauer gewährleisten soll, zu entpolitisieren.

Die axiomatische Kritik an der normativen Gewalt sämtlicher bisheriger Gesellschaftsordungen wird selbstverständlich nicht durch die Inbesitznahme einiger Regierungssessel durch AL-Abgeordnete qualitativ beantwortet.

Wir Anarchisten wollen die Ganzheitlichkeit unseres Lebens und des Lebens aller Menschen.

Daß wir nur ein Teil der linken Bewegung sind, nur eine kleine radikale Minderheit (das haben die selben Leute, die heute derart über uns urteilen, 1968 auch bereits über sich selbst gehört) daran ist jeder, der sich grundsätzlich gegen die destruktive Logik von Herrschaft stellt und auch noch beginnt, in seinem und durch sein Leben die Herrschaft zu überwinden, gewöhnt. Die Genalität unseres kritischen Bewußtseins und die Wesentlichkeit unserer Liebe zur Menscheit wird nicht nur gerne verschwiegen, sondern offensiv bekämpft. (...)

Ingo Hut, Aachen

(...) Alternative Liste und SPD haben in der Koalitionsvereinbarung erklärt, auf Zustände hinzuarbeiten, wo Gewalt als Mittel in der Politik verschwinden soll. Daß eine solche Deklaration noch nicht bewirken kann, was eine soziale und ökologische Politik allenfalls auf sehr lange Sicht erreichen könnte, haben die UnterzeichnerInnen wohl selbst nicht anders gesehen.

Die CDU in West-Berlin kann sich vorerst die Hände reiben. Ihr Kalkül, die rot-grüne Stadtregierung möge sich an den Problemen, die jahrelange CDU-Politik geschaffen hat - nicht nur in Kreuzberg - zerreiben, ist wieder ein Stück weit in Erfüllung gegangen. Der Stadtregierung wird nicht viel anderes übrig bleiben, als geduldig zu argumentieren, die Schwarzen zu isolieren und zu versuchen, ihnen bei dem überreichlich vorhandenen Nachwuchs-Potential an GewalttäterInnen aus dem Umfeld jugendlicher Arbeitsloser oder No-future-SchülerInnen das Wasser abzugraben. Doch illusionslos gesehen: Der nächste 1.Mai kommt bestimmt.

Karl Kirchner, Würzburg

(...) Der rote Mob hat manifestiert, daß eine rot-grüne Koalition im Grunde labil und angreifbar ist. Die Mairandale ist auch von hohem psychologischem Wert für andere rote StraßenkämpferInnen und deren SympathisantInnen im gesamten Bundesgebiet, die diese Aktionen als Präzedensfälle werten. Ein anderer Aspekt ist wohl auch das Wir-Gefühl, das mit dem aggressiven Gruppenhandeln verbunden ist. Unsere rational bestimmte Gesellschaft hält der Jugend emotionale Erlebnisse vor und wundert sich, daß die „Demos“ gerade unter diesem Aspekt ihre Anziehungskraft entfalten. Leider wird immer mehr die Gewalt akzeptiert.

Nein. Gewalt ist weder zu heroisieren noch ideologisch oder politisch zu rechtfertigen, sondern ohne Wenn und Aber zu ächten.

Volker Häfner, Kaisheim

betr.: Eigenwerbung und 1.Mai-Berichterstattung,

taz vom 2.5.89

O-Ton Eurer Eigenwerbung: „Comix sind manchmal ganz gut, AKW und so, Leserbriefe, Ausländer-Sachen, Wiese, Knast-Seite, Lateinamerika, auf Cooltour gibt's oft abgefahrene Sachen... aber sonst seid ihr'n abgewichstes Schweineblatt, voll countermäßig. Mir wird jeden Morgen kotzübel!“

Als Bild ein Autonomer mit Haßkappe, der mit diesem Text die üblichen Vorurteile nur bestätigt: ein comiclesender Vollidiot, der das Blatt natürlich und so in seiner tollen Vielfalt ganz geil findet.

Das wird ergänzt durch eine 1.Mai-Berichterstattung, die sich in nichts von den übrigen Berliner Reform- und Hetzmedien unterscheidet.(...) Es sei Euch überlassen, wie weit Ihr Euch mit dem System arrangiert und alte Vorstellungen, die jenseits des Reformismus liegen, klammheimlich über Bord werft; die politische Kraft allerdings, die noch von Revolution redet und die bestimmte Lebenskonsequenzen aus ihrer Forderung nach Revolution zieht, derartig zu diffamieren, ist vielleicht nur perfider als die Springerpresse.

Klaus