: DDR gegen Atomenergie: Erste Demo in Stendal
■ Atomenergie gegen Braunkohle? / Grüne Partei und Teile des Neuen Forums gegen AKWs / Wie organisiert man eine Demo?
Seit 1974 baut das Kernkraftbaukombinat in Stendal an einem Atomkraftwerk, das mit vier Reaktorblöcken zu je 1.000 Megawatt Leistung aus dem Braunkohlendilemma führen soll. Siebzig Prozent der DDR-Energie wird aus heimischer Braunkohle gewonnen. Die jährliche Förderung von 316 Millionen Tonnen ist eine ökologische Katastrophe: Zum einen werden ganze Landstriche durch den Tagebau verwüstet, zum anderen belasten die Emmissionen der Kohle die Umwelt in unerträglicher Weise. Bisher wurde der Bevölkerung die Atomenergie als umweltfreundliche Alternative ohne Risiken verkauft, doch seit Bekanntwerden des Beinahe-GAUs in Geifswald formiert sich auch in der DDR der Widerstand gegen diese Technik.
In Stendal, einem Ort sechzig Kilometer südöstlich des bundesdeutschen Atomklos Gorleben, rackern die Grüne Partei und einige Mitglieder des Neuen Forums gegen das riskante Atomenergieojekt. Am 11. März wird es nun die erste Demo gegen Atomkraftwerke in der DDR geben.
Die Stendaler AtomkraftwerksgegnerInnen haben Unterstützung von allen Seiten nötig. Denn die gesamte Stadt lebt mittlerweile von der Baustelle, auf der insgesamt 10.000 Menschen arbeiten. Viele wissen, wie gefährlich Atomkraftwerke sind, haben aber Angst um ihre Arbeit. „Die wollen dann gehen, wenn die Baustelle fertig ist“, berichtet Malte Fröhlich (Neues Forum Stendal) von einer dortigen Veranstaltung, die über das AKW und seine Gefahren informieren wollte.
Wie organisiert man solch ein Demonstration? Malte Fröhlich berichtet: „Wir bekamen irgendwann Besuch vom Werkschutz und der Volkspolizei, die Absprachen mit uns treffen wollten. Doch die sind mit leeren Händen wieder abgezogen.“ Die merkwürdigen Formen von Zusammenarbeit, die sich AKW -Baudirektor Bischof vorstellte, können sich die AKW -GegnerInnen verkneifen. Die Lautsprecheranlage wird aus dem Kreis Lüchow-Dannenberg kommen, als Bühne ist ein LKW -Anhänger organisiert worden, ein Notstromdiesel sorgt für den nötigen Saft. „Es wird hier von Stendal aus einen Fahrradkorso zum Baustellengelände geben. Dort wollen wir uns dann mit den anderen treffen.“
Nach den üblichen Kundgebungsreden soll das Mikrofon offen bleiben für DemonstrationsteilnehmerInnen, die ihren eigenen Redebeitrag leisten wollen. Am Tag vor der Demonstration wird in der Winckelmann-Schule in Stendal von 10 bis 19 Uhr ein Infotag organisiert.
Üblicherweise müssen solche Veranstaltungen 14 Tage vorher schriftliche eingereicht werden. Mit Rednerliste und den entsprechenden Manuskripten, mit Routen und vorausberechneter Teilnehmerzahl. Die Atomkraftgegnerinnen in Stendal vereinfachen das Verfahren anläßlich der ersten Anti-AKW-Demo: Ein Anruf wird das Volkspolizeikreisamt über die Fahrradroute informieren, damit die Polizisten die Strecke absperren könne.
Für die AtomkraftgegnerInnen ist klar: Randaliert wird nicht. Deshalb wird es keinen demoeigenen Ordnungsdienst geben. Malte Fröhlich: „Wenn es zu Ausschreitungen kommt, werden wir die Demonstration sofort verlassen.“
Die Stendaler AtomkraftgegnerInnen sind ein kleines'aber hochaktives Völkchen (vor allem, wennse immer strahlen, sezza). Anläßlich des Besuchs von Bundesumweltminister Töpfer auf der Großbaustelle Stendal Mitte Januar formulierten sie in einem offenen Brief ihre Ängste, daß bundesdeutsche Energieunternehmen die DDR als geeignetes Absatzland für ihre Reaktoren vereinnahmen könnten. Nicht Sicherheitstechnik iund Nuklearteile von Atomanlagen wollen die AtomkraftgegnerInnen, sondern die nötigen Energie-Spar -maßnahmen. Die Angst, durch den Ausbau der Atomenergie energietechnisch vom Regen in die Traufe zu gelangen, ist nicht unbegründet. Ganz selbstlos hatten die Stromkonzerne Preußen-Elektra und Bayernwerke der DDR angeboten, hier Atomkraftwerke mit 1.3000 Megawatt in die Landschaft zu setzen. Kostenpunkt: Die Hälfte des erzeugten Stroms.
Markus Daschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen