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Keine Einigkeit über die Zukunft des Reaktors

■ Pressekonferenz der Expertenkommission des Vertrauens am Runden Tisch zur Sicherheit im KKW Nord / Niemand kann den weiteren Betrieb des KKW verantworten

Der Störfall kann morgen eintreten. Niemand kann den weiteren Betrieb des Kernkraftwerkes Nord verantworten, weder die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (BRD), noch das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (DDR). Auch keiner der Experten des Vertrauens am Runden Tisch. Soweit das Fazit, sachlich ausgesprochen von Michael Sailer (Darmstadt), einem der sieben vom Runden Tisch berufenen Fachleute, die am Donnerstag einen ersten Zwischenbericht ihrer Analyse der Sicherheit/Unsicherheit des KKW Nord gaben.

Prof. Klaus Traube, Hamburg, Chefkonstrukteur des Schnellen Brüters in Kalkar informierte über die fünf Problemfelder, die ein hohes Risiko für katastrophales Versagen der Blöcke 1 bis 4 verursachen. Noch einmal deutlich: Es ging nicht um Kleinkram, die Rede war ausschließlich von einem Versagen mit Folgen ähnlich denen in Tschernobyl.

Erster Punkt: die schon vielfach diskutierte Sprödbruchsicherheit der Reaktorgefäße. Diesen Punkt hatte auch die Gesellschaft für Reaktorsicherheit als erstes aufgegriffen. Ein plötzliches katastrophales Versagen eines Druckgefäßes wäre nicht zu beherrschen. Block 2 ging deshalb Mitte Februar vom Netz, für Block 3 wurde das empfohlen, „geordnetes Abfahren“, lautete der Tip von Umweltminister Töpfer. Mindestens beim Block 4, fügte Prof. Traube nun hinzu, sei die Sprödbruchsicherheit ähnlich vage. Und Block 1? Im Januar '88 war er wärmebehandelt worden, aber, so Traube, über den Erfolg dieser Maßnahme ist praktisch nichts bekannt. Damals entnommene Probeplatten seien bisher nicht untersucht worden, berichteten die Experten des Vertrauens, zu denen zwei Vertreter vom KKW Nord gehören.

Gleich gravierende Mängel ergänzen die schon genannten: das schwach dimensionierte, unzuverlässige Havariekühlsystem zunächst. Lecks im Primärkreis könnte es nur bis zu einem Durchmesser von 32 Millimeter beherrschen (international anerkannt wären 500 Millimeter). Die Gefahr größerer Lecks besteht aber angesichts massiver Schädigungen der Nadelrohre, unzureichender Überwachung von Lecks und der Tatsache, daß Primärsicherheitsventile nach Öffnen häufig nicht wieder schließen.

Hinzu kommen Mängel im bau- und anlagentechnischen Brandschutz, in der Notstromversorgung und dem Notspeisesystem und eine veraltete Meß-, Regel- und Steuertechnik. Zusammen mit organisatorischen Mängeln ergibt sich ein „relativ hohes Potential für menschliche Fehlhandlungen, die Störfälle auslösen oder verschärfen können“, urteilte die Kommission.

„Jeder der hier genannten Problemkreise“, so Prof. Traube, „müßte dazu führen, das KKW stillzulegen, wenn man Maßstäbe anlegt, wie sie in den meisten Ländern üblich sind.“ Mindestens zu dem Zeitpunkt, an dem alle Unterlagen und Untersuchungsergebnisse vollständig vorliegen und über eventuelle Maßnahmen der Rekonstruktion beschlossen werden kann. Die sei übrigens ein Problem für sich, mit dem sich die Experten des Vertrauen nichts beschäftigt hätten, fügte Traube hinzu. Er selbst glaubt allerdings nicht, daß eine Rekonstruktion möglich sei, mit der ein akzeptables Sicherheitsniveau erreicht werde.

Michael Sailer erinnerte an das Kernkraftwerk Rheinsberg. Noch älter als die Blöcke 1 bis 4 in Greifswald, sei es in vielem „noch ein Stück schlechter“. Auch in Rheinsberg müsse man sich die Frage nach der Sicherheit stellen.

Minister Matthias Platzek (Grüne Partei) wies darauf hin, daß der polnische Umweltminister äußerste Besorgnis über die Gefährdung durch das KKW Nord geäußert habe. Er bittet dringend um exakte Informationen von seiten der Regierung, verständlicherweise, schließlich geht es in Greifswald auch um die Interessen Polens.

Im Kabinett Modrow herrscht zur Frage „Abschalten - ja oder nein?“ keine Einigkeit, sie wird bis zum 18. März auch nicht mehr herzustellen sein. „Man möchte dort jetzt nichts mehr entscheiden. Ich halte das weder für fair noch für verantwortbar“, stellte Mathias Platzek fest. Er, die Minister Schlüter (Grüne Liga) und Pflugbeil (Neues Forum) sprachen auf der Pressekonferenz also nicht etwa als autorisierte Vertreter der Regierung. Sebastian Pflugbeil: „Damit müssen wir leben. Doch ich halte das Problem für wichtig. Ich habe Angst davor, später gefragt zu werden: Warum habt Ihr nichts getan.“

Seine Schlußfolgerung: „Wir brauchen Ehrlichkeit. Der Leiter der Hauptabteilung Kernenergie des Ministeriums für Schwerindustrie hat auf unserem Energiekongreß am vergangenem Wochenende die Panne im Primärkreislauf vom Block 1 nicht einmal erwähnt. Der Block mußte etwas heruntergefahren werden, zur Reparatur. Das führte dazu, daß Block 3 erst in der Nacht zum Mittwoch abgeschaltet werden konnte, statt wie vorgesehen am Sonntag davor. Über solche Dinge muß die Öffentlichkeit informiert werden. Und wenn ein Reaktor unsicher ist, muß er abgeschaltet werden. Punkt.“

Josefa Thomas

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