: Nicaragua libre - eine Utopie geht zu Ende
■ Wahlniederlage der Sandinisten - Mehr als ein Regierungswechsel
Das ausgehende 20. Jahrhundert ist offensichtlich keine gute Zeit für Träumer, die sich eine Gesellschaft vorstellen wollen, in der soziale Gerechtigkeit und menschliche Solidarität schwerer wiegen als die unerbittliche Logik des Geldes und der Macht. Die Wahlniederlage der Sandinisten bedeutet mehr als einen Regierungswechsel. Es ist der freigewählte Abschied von einer Hoffnung. Auf dem lateinamerikanischen Subkontinent, der mehr und mehr in der Gewalt menschenverachtender und kapitalhegender Militärdiktaturen versank, setzte das nicaraguanische Volk 1979 mit der Vertreibung Somozas und der konsequenten Durchführung von Agrarreform und Alphabetisierung ein Zeichen der Umkehr. Die sandinistische Revolution soll hier nicht idealisiert werden. Auch die jungen Kriegshelden Nicaragus mußten erfahren, daß ein erfolgreicher Waffengang keine gute Vorbereitung auf die Leitung ökonomischer Prozesse darstellt. Auch in Nicaragua predigten ideologische Eiferer, daß man nur unisono und exakt auf diese eine Facon glücklich werden kann. Besonders in den ersten jahren war man bei der Wahl der Mittel dafür nicht gerade zimperlich. Der Wille zur inneren Perestroika war seit geraumer Zeit erkennbar, aber es mangelte an Konsequenz.
Wenn aber das Leben in dem mittelamerikanischen Land immer mehr zum Kampf ums tägliche Überleben verkam, so ist das eben nur zum Teil inneren Faktoren zuzuschreiben. Der Koloß im Norden zog im Namen der Freiheit zum Kreuzzug gegen das widerspenstige 3-Millionen-Volk nur aus. Und Freiheit richtig interpretiert rechtfertigt bekanntlich die Finanzierung von Mördertrupps, die Verminung von Häfen, den totalen Handelskrieg. Das kleine Land wurde, die sowjetische und kubanische Militär- und Wirtschaftshilfe trug das ihre dazu bei, zu einem der Brennpunkte der Ost-West -Auseinandersetzung. Die Sandinisten mochten in demokratische Wahlen unter internationaler Kontrolle einwilligen, den Contras goldene Brücken bauen, Gorbatschow mochte die Waffenlieferungen einstellen, die Gringos zurrten den Würgegriff nur noch enger. 60.000 Tote und viele Milliarden Dollar an Kriegs- und Wirtschaftsschäden führten schließlich zum gewünschten Ergebnis. Nicaragua wählte am 25. Februar mit dem Verstand und nicht mit dem Herzen. Eine Mehrheit beugte sich der Arroganz der Macht in der Hoffnung, für den Verzicht auf Eigenständigkeit und nationale Würde Brot und Frieden zu erhalten. Moralische Verurteilung ist hier gewiß nicht angebracht. Sicher, die Durchführung beispielhafter Wahlen und der friedliche Machtwechsel können die Regelung der Konflikte in Zentralafrika befördern und damit den Frieden in der Welt sicherer machen. Diese Regelung ist aber mehr 'pax americana‘ als das Ergebnis neuen Denkens. Und auch ein Zeichen der Schwäche der Kräfte, die bereit waren, das sandinistische Experiment zu unterstützen.
Der Siegeszug des liberalen Kapitalismus in Uncle Sam-Pose scheint angesichts des notwendigen Zerfalls seines repressivsozialistischen Gegenpols unaufhaltsam. Vielen bringt er Wohlstand und große Freiheiten, nicht wenigen sogar Überfluß, aber um den Preis der Verelendung von zwei Dritteln der Menschheit und auf Kosten der Natur. Das Verschwinden einer weiteren Alternative wird ihn wohl kaum sensibler für die Gefahren machen, die die Existenz der Menschheit bedrohen. Anpassung an seine funktionierenden Strukturen liegt nahe, die Suche nach eigenen, neuen Wegen erscheint als albernes Unterfangen. Der Verzicht auf Phantasie und Alternativen hat aber schon manches Mal in eine historische Sackgasse geführt.
Dr. Martin Bohne
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