: WIE ANFASSEN
■ Endparty des Atonal-Festivals im Künstlerhaus Bethanien
Das Bethanien war sicher nicht der geeignetste Auftrittsort, auch wenn man sichtlich erfreut war, damit einen Erinnerungsraum in das betont neutrale Ambiente einzuverleiben. Hatten sich die ersten zwei Tage noch durch Düsternis ausgezeichnet und dadurch, daß die auf der Bühne kurze Haare, dunkle Klamotten, meist Reiterhosen anhatten, um zu bedeuten, das ist kein Spaß, sondern Arbeit und arg wichtig; hatte man an diesen Tagen den Eindruck gewinnen können, House und Technopop seien in ihre protestantisch -lustfeindliche Phase getreten, zumal all das Bunte, Lustige, Tuntenhaft-exaltierte des Publikums offensichtlich und jetzt der Vergangenheit angehört, so war am Samstag Party Time. Allerdings erst sehr spät: Zunächst schepperte die Musik abgehackt daher, die der berühmteste junge Berliner Szene-DJ, „Kid Paul“, 16, Leopardenhemd, in den Raum warf; hauten die Bässe in die Eingeweide, die Höhen ins Hirn, war alles entsetzlich laut und es zeigte sich, wie ungeeignet das Bethanien eigentlich für solche Veranstaltungen ist: zu hoch und irgendwo dort oben verloren sich die Töne.
Und die Stimmung war schlecht und man rekapitulierte all das Unangenehme und Unsympathische dieser Tage; ein von Senat und Zigaretten gesponsertes Festival, das dazu noch 24 Mark Eintritt pro Abend verlangt, die eingebildeten Gesichter, die man zur Genüge aus Fischlabor und Kumpelnest kennt, und dann erzählte der noch, wie es ihm erging bei der Eröffnungsparty im Future Club. Nachdem ihm der Türsteher gesagt hatte: „In diesen himmlischen Gefilden findet die Eröffnungsparty statt“, ging er schnell. Wer blieb, wurde von öffentlich-rechtlichen Wichskameras zu unbezahlten Komparsen degradiert. Und das Bier kostete vier Mark usw.
„Consolidated“, vier Männer in Armeeklamotten, hatten mit echten Keyboards und Drums sehr laut und aggressiv tags zuvor noch antiamerikanische Hetze betrieben, Schildchen hochgehalten, auf denen zu lesen war: „America is a lie“, den Sponsor beschimpft und das Publikum dazu angehalten, doch bitteschön die Hände von Peter Moosleitners interessanten Zigaretten zu lassen. Und „Greater than one“ hatten übel hartes Mindfucking praktiziert und der taz -Votograf war von einem Ordner von der Bühne geschickt worden: „Kommst du bitte da runter. Das ist ein schlechtes Beispiel für die anderen.“ Und das Männerklo war vollgekotzt und in dem süßlich-widerwärtigen Gestank, den nun die, die dort waren, mit sich herumtragen mußten, wurde auch noch onaniert.
Auch auf der Abschlußparty blieben die ZuschauerInnen StatistInnen. In England ist das Verhalten wesentlich inniger: Fließend wird der Neuankömmling von der Meute aufgenommen, bereit, warm und unterleibsbetont schwemmt die Musik die TänzerInnen auf und davon. Vielleicht läßt sich aber auch nur die gewohnt kontinentale Kühle nicht durch gesteigerte Motorik überlisten und abschalten. Das ist aber doch das ganze Prinzip der House-Musik: Einschalten, Abschalten, Input und Output, 0/1, daraus resultiert die Einbettung des HörerIn in den Realzeitmythos des Grooves und der Maschinen, wirkt sich als ekstatische Kommunikation aus, wie sie die totale Mediatisierung mit sich bringt. Gleich der Vinyloberfläche der Schallplatten ist auch der Gestik der TänzerInnen die simple Codierung als Muster eingeschrieben: Do the Gödel-Band, endloses Kreisen fast schon vom Körper gelöster Arme, mit dem Gebocker der Klänge spielend. Da vergaß man beinahe, daß inzwischen still und schüchtern MusikerInnen auf der Bühne erschienen waren. Lächelnd und kuschlig, wie ein Pandabärchen, wie die Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe kam die Sängerin von Baby Ford und Baby Ford selber, der so sympathisch -freundlich und klug aussieht wie Marc Almond, und die Bässe wurden weicher und verbindender. Wie in Trance stieg der schmächtige Sänger zwischen seinen KlangerzeugerInnen herum, spielte mal auf diesem, mal auf jenem Gerät ein paar Töne, um dann soulcroonend in ätherische Höhen abzudriften. Und plötzlich funktionierte es; die Leute sahen netter aus; im Video sah man freundliche Inderinnen tanzen und auch die anschließende Disko machte plötzlich Sinn. Der Sound formte sich zu einer großen Allegorie, in der Flughäfen, High-Tech, Satelliten und Entfernteres zu einem sich selbst lesenden Bild wurden. Denn selbst las man inzwischen nicht mehr. Man tanzte. Im Bethanien ein paar Hundert, in England ein paar Millionen - das macht auch gar keinen Unterschied mehr, denn der DJ, Mike Pickering, der nach dem Auftritt von Baby Ford Platten auflegte, kommt direkt aus Manchesters Hacienda Club und hat aus dieser Tanzkultur das avancierteste Kunstwerk gemacht, das selbst Adorno hinter seinen Buchstaben hätte heraustreten lassen können.
Waren Clock DVA offen als die Highlights des Festivals plakatiert, so sollten abschließend „808 State“ der Geheimtip sein - etwas, das man 90 - so der LP-Titel nicht verpassen dürfe, wenn man 1995 werde wissen wollen, wo moderne Musik ihre Wurzeln hat. Was kam, waren sehr junge Männer in Jogginganzügen, mit Popperfrisuren (wenn noch jemand weiß, was das ist), mit Acidpfeifen, die sehr rhythmisch und laut - zwei Drummer & Drummachine, Samplekeyboards und irgendwann dann auch ein Sopransaxophon
-Miles Davis, Wayne Shorter oder Weather Report gewinnbringend zitierten und sich trefflich mühten gegen ihr Designerimage anzuspielen. Sie mischten Mineralwasser, Hip Hop, House; versetzten das mit Punkgesten a la Sham 69, headbangten animierend auf der Bühne und verschwanden dann so plötzlich, wie sie gekommen waren - ohne daß jemand hätte sagen können, ob sie nun eine Viertel- oder eine ganze Stunde gespielt hätten. Dann wieder Disko oder Hausrevolution, wie der Veranstalter meinte, und nach Stunden irgendwann am frühen Morgen erkannte man, daß hinter den Millionen und Abermillionen Beats, die ins Hirn und in den Körper gehaut hatten, die tiefste und erhabene Stille, also Schönheit liegt, und das reichte.
Atonal zum Anfassen, seines Sensationscharakters entledigt. Hierin hat sich das Festival einschneidend verändert: das Ereignis, auf das man früher wartete (der beringte Schwanz von Psychic TV's Genesis P. oder die bemuskelten Sozialrevolutionäre von Test Department mit ihrer „1. Mai -Ästhetik“) kommt nicht. Stattdessen, post-wendend, ist das Ereignis 1990, daß nichts passiert. Künstlerisch gesehen schon deshalb, weil Ästhetik die Bewegungen dieser Zeit nicht (be)greift. „Der DJ ist der neue Star“, wird auf dem Festival verkündet, und sich dessen voll bewußt, heißt das Dancefloorlabel aus Manchester:Deconstruction. Das Exorbitante verwirklicht sich irgendwo zwischen Rauch, Sound, Lichterblitzen und Menschenschweiß jenseits der Körper und des Raumes. McLuhan hatte ganz recht: Nach dem Raum wird irgendwann die Zeit verschwunden worden sein. Zurück im Hier & Jetzt fällt den Schreibern am nächsten Morgen nur noch ein: Atonal, das war einmal.
H.Fricke/D. Kuhlbrodt
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